Der Prolog der ‘Bacchen’
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kes auch noch selbst aufgetreten wäre und in die Klage um den Unter-
gang der Seinen eingestimmt hätte.
Aber schon die Frage, ob man nach 1484 nur noch Gesangspartien
erwarten soll, ob es noch zu einer Sprechszene — etwa zwischen Antigo-
ne und Kreon - kam, oder ob man gar im euripideischen Original auch
noch mit dem Auftreten eines Gottes zu rechnen hat, der beispielsweise
Oedipus sein Ende in Attika voraussagen und andere Motive der Oedi-
pus-Sage erwähnen konnte - das alles entzieht sich jeder halbwegs si-
cheren Aussage. Immerhin könnte gerade die Rhesis eines deus ex ma-
china, der die ungelösten Detailfragen der Handlung in die Reihe
bringt, einem späteren Bearbeiter die Anregung zu der überraschen-
den, weil exzessiven Erweiterung des Motivschatzes gegeben haben.
Sicher dürfte schließlich sein, daß die nach 1484 vorauszusetzende
Textmasse des Originals groß genug war, um für den bearbeiteten Text
in seiner heutigen Form nicht nur Motive, sondern vor allem Ausdrük-
ke, Verse und Versgruppen in großer Zahl zu liefern. Der Tragödien-
schluß, so wie man ihn heute liest, enthält darum gewiß ein gutes Stück
euripideischer Dichtung, ohne daß wir sie freilich von den Zutaten for-
mal oder inhaltlich scheiden könnten. Es bleibt lediglich die Feststel-
lung zu treffen und zu begründen, wie das im Vorangehenden anläßlich
der Unstimmigkeiten im Inhalt und der Seltsamkeiten in Sprache und
Stil wiederholt geschehen ist, wo der Schlußteil am ehesten verständlich
wird, wenn man ihn als Arrangement für eine isolierte Aufführung ent-
sprechend der hellenistischen Bühnenpraxis auffaßt. Offen bleiben muß
dabei aber auch, ob die Gesangspartien und die Sprechszene nach 1485
in der gegenwärtig vorliegenden Form jeweils getrennte Nummern dar-
stellten oder zusammen aufgeführt werden sollten, ob sie also nachträg-
lich nicht nur an das Hauptstück der Tragödie, sondern auch aneinan-
der angeglichen wurden. Wie die Dinge liegen, müssen wir uns wohl da-
mit zufrieden geben, daß wir mit den ‘Phoinissen’ ein eindrucksvolles
Spätwerk des Euripides unvollständig, d. h. ohne den Schluß der Tragö-
die, besitzen, und daß das Erhaltene durch einige Interpolationen ent-
stellt ist, ohne dadurch verdorben zu sein. Der Schluß der Tragödie hin-
gegen ist verloren, denn die vermutlich zahlreichen euripideischen Ver-
se, die der überlieferte Teil von Vers 1485 an erhalten hat, sind in eine
schwer aufzulösende Verbindung mit den Erfindungen eines oder meh-
rerer Bearbeiter eingegangen. Was diese späten Theaterleute geschaf-
fen haben und was in unserem Text vorliegt, sind Arrangements einzeln
aufzuführender Szenen oder Nummern, die motivisch, sprachlich und
musikalisch den originalen Schluß verarbeiteten und weiter ausgestalte-
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kes auch noch selbst aufgetreten wäre und in die Klage um den Unter-
gang der Seinen eingestimmt hätte.
Aber schon die Frage, ob man nach 1484 nur noch Gesangspartien
erwarten soll, ob es noch zu einer Sprechszene — etwa zwischen Antigo-
ne und Kreon - kam, oder ob man gar im euripideischen Original auch
noch mit dem Auftreten eines Gottes zu rechnen hat, der beispielsweise
Oedipus sein Ende in Attika voraussagen und andere Motive der Oedi-
pus-Sage erwähnen konnte - das alles entzieht sich jeder halbwegs si-
cheren Aussage. Immerhin könnte gerade die Rhesis eines deus ex ma-
china, der die ungelösten Detailfragen der Handlung in die Reihe
bringt, einem späteren Bearbeiter die Anregung zu der überraschen-
den, weil exzessiven Erweiterung des Motivschatzes gegeben haben.
Sicher dürfte schließlich sein, daß die nach 1484 vorauszusetzende
Textmasse des Originals groß genug war, um für den bearbeiteten Text
in seiner heutigen Form nicht nur Motive, sondern vor allem Ausdrük-
ke, Verse und Versgruppen in großer Zahl zu liefern. Der Tragödien-
schluß, so wie man ihn heute liest, enthält darum gewiß ein gutes Stück
euripideischer Dichtung, ohne daß wir sie freilich von den Zutaten for-
mal oder inhaltlich scheiden könnten. Es bleibt lediglich die Feststel-
lung zu treffen und zu begründen, wie das im Vorangehenden anläßlich
der Unstimmigkeiten im Inhalt und der Seltsamkeiten in Sprache und
Stil wiederholt geschehen ist, wo der Schlußteil am ehesten verständlich
wird, wenn man ihn als Arrangement für eine isolierte Aufführung ent-
sprechend der hellenistischen Bühnenpraxis auffaßt. Offen bleiben muß
dabei aber auch, ob die Gesangspartien und die Sprechszene nach 1485
in der gegenwärtig vorliegenden Form jeweils getrennte Nummern dar-
stellten oder zusammen aufgeführt werden sollten, ob sie also nachträg-
lich nicht nur an das Hauptstück der Tragödie, sondern auch aneinan-
der angeglichen wurden. Wie die Dinge liegen, müssen wir uns wohl da-
mit zufrieden geben, daß wir mit den ‘Phoinissen’ ein eindrucksvolles
Spätwerk des Euripides unvollständig, d. h. ohne den Schluß der Tragö-
die, besitzen, und daß das Erhaltene durch einige Interpolationen ent-
stellt ist, ohne dadurch verdorben zu sein. Der Schluß der Tragödie hin-
gegen ist verloren, denn die vermutlich zahlreichen euripideischen Ver-
se, die der überlieferte Teil von Vers 1485 an erhalten hat, sind in eine
schwer aufzulösende Verbindung mit den Erfindungen eines oder meh-
rerer Bearbeiter eingegangen. Was diese späten Theaterleute geschaf-
fen haben und was in unserem Text vorliegt, sind Arrangements einzeln
aufzuführender Szenen oder Nummern, die motivisch, sprachlich und
musikalisch den originalen Schluß verarbeiteten und weiter ausgestalte-