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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0023
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Regio Beatitudinis

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sondern nach dem „Was-Etwas-ist“ und „Warum-Etwas-so-ist“ fragt.
Wie die Intention nach Wissen, so entspricht auch das Streben nach
Glück einer unbezweifelbaren und unstrittigen Struktur menschlicher
Existenz; eminent strittig aber ist die Frage nach dem Weg ins Glück,
strittig ebenso der Grund oder die Ursache des Glücks - das Beglük-
kende selbst also - nicht minder die Frage, wie man es behalten könne,
ob es unbedingt brüchig und flüchtig sein müsse oder auch einmal un-
verändert dauere70.
Aus seinem eigenen geschichtlichen Kontext heraus hat Augustinus
es zu Recht als die Grundintention der antiken Philosophie angesehen,
das Glück begrifflich zu fassen, Vorschläge auszuarbeiten und Normen
aufzustellen für die Methode, wie es erreichbar sein könne. Dies er-
scheint als die nahezu einzige Motivation zum Philosophieren71: das
Ziel (τέλος, finis) von Sein und Handeln des Menschen in der vita beata
zu ergründen und einsichtig zu machen.
Man mag erschrecken über die Konfusion der Philosophen in der
Frage nach dem „höchsten Gut“ (summum bonum, finis bom) oder es
absurd finden, wenn Varro nach der Auskunft Augustins 288 mögliche
Philosophenschulen konstruierte, die sich in der Bestimmung des höch-
sten Gutes und damit auch des Glücks mehr oder weniger unterschie-
den72. Historisch waren die Differenzen ohnehin auf einige Grundtypen
reduziert - den epikureischen, stoischen, akademischen, den platoni-
schen, aristotelischen und neuplatonischen - die sich nicht durchweg
kontradiktorisch ausschlossen. Im Vollzug des Philosophierens ist zu-
dem die Entscheidung für eine Form, die durchaus in sich komplex sein
mag, gefordert. So verfährt auch Augustinus, indem er in einer Selbst-
unterscheidung von den Philosophen die Hoffnung auf Erfüllung, die
der Christ jetzt schon hat, und die wahre Glückseligkeit (yera beatitu-
do), die ihm zugesagt ist, als einen dialektischen Gedanken zu explizie-
ren versucht. Diese Explikation bleibt einerseits im Horizont der Philo-
sophie, andererseits entzieht sie sich ihm, indem sie bestimmte Elemen-
te des philosophischen Gedankens umformt oder sie in eine neue Di-
mension überführt, die nicht mehr ausschließlich durch die Vernunft
70 Sermo 306, 3, 3: Beata ergo vita omnium est communis possessio, sed qua veniatur ad
eam, qua tendatur, quo itinere tento perveniatur, inde controversia est. Vgl. Seneca,
de vita beata I 1: vivere . . . omnes beate volunt, sed ad pervidendum, quid sit quod
beatam vitam efficiat, caligant.
71 Civ. Dei VIII 3: . . . propter quam unam (seil, beatam vitam) omnium philosophorum
invigilasse ac laborasse videtur industria. XIX 1: Nulla est homini causa philosphandi
nisi ut beatus sit. - Cicero, de finibus V 39.
72 Civ. Dei XIX 1.
 
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