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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0035
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Regio Beatitudinis

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All diesen Texten ist das Postulat gemeinsam, das Denken des Men-
schen habe sich aus der Verstrickung in die Sinnlichkeit und Zeitlichkeit
zurückzunehmen in sein eigenes Inneres, weil dieses allererst Aufschluß
zu geben vermöchte über das sinnlich Erfahrene. Der Gedanke Augu-
stins steht also gegen die Auffassung, daß die Erfahrung durch die Sinne
für sich allein wahre Erkenntnis zu vermitteln imstande sei. Denkbar ist
jedoch eine solche Vermittlung offensichtlich nur aufgrund eines in den
Sinnen „vorlaufenden“ Begreifens. Ursprung*, Möglichkeit und Reich-
weite dieses Begreifens aber sind gerade durch den Rückgang in die In-
nerlichkeit zu eruieren. Auf diesen inneren Ursprung der Vergewisse-
rung oder der Wahrheit als einer durch Begreifen geprägten Aussage
verweist der zentrale Satz in 'De vera religione': „Gehe nicht nach au-
ßen, gehe in dich selbst zurück. Im inneren Menschen wohnt Wahr-
heit“116. Der innere Mensch: dies ist das denkende Selbstbewußtsein
oder die ihres Grundes gewisse 'mens', in der und durch die einzig
Wahrheit auffindbar ist. Mit einem analogen Postulat beginnt der Text
in den Confessiones VII 10: „Ich trat in mein Innerstes ein unter deiner
Führung und konnte dies, weil du mein Helfer geworden bist. Ich trat
ein und sah . ..“117. Wenn die sinnliche Erfahrung der Ansatz zur Rück-
kehr des Denkens in sich selbst ist, dann muß in dem sich aus eben die-
ser sinnlichen Erfahrung zurückziehenden Denken bereits ein Element
von Bewußtsein vorgängig wirken, das es zu eben dieser Rückkehr be-
stimmt; das Denken muß von sich aus immer schon ein zwar unklares,
in seiner Eigentlichkeit noch verdecktes Wissen haben, welches auch im
Akte der sinnlichen Erfahrung wirksam ist und so deren Relativität und
Insuffizienz zu erkennen vermag. Aus dieser Einschränkung gegenüber
der sinnlichen Erfahrung ist nicht unmittelbar eine „Welt- oder Leib-
feindlichkeit“ abzuleiten, es liegt ihr vielmehr die Intention zugrunde,
das sinnlich Erfahrene in seinem Wesen zu begreifen, d.h. ein wahres
Urteil über es zu fällen.
den von mir hier für den Glücks-Begriff entwickelten Zusammenhang Augustins mit
Plotin; allerdings enthält er keine Diskussion der spezifischen Formulierungen und
Dimensionen des Begriffs ‘beatitudo’ bei Augustinus, sondern zeigt vielmehr anhand
eines minutiösen Vergleichs von Conf. VII 10 insbesondere mit Enn. V 8, VI 4-5 und
VI 9 die Konvergenzen Augustins mit Plotin: Sie treffen sich in wesentlichen Aspek-
ten. Die in Conf. VII 10 beschriebene ‘visio’ steht, wie zu zeigen auch meine Absicht
ist, für das Zentrum des Glücks.]
116 39,72: Noli foras ire, in te ipsum redi. In interiore homine habitat veritas.
117 Vgl. auch Ord. I 2,3: animus sibi redditus. Sermo 330,3: redi ad te: sed iterum sursum
versus cum redieris ad te, noli remanere in te ... et deinde redde te ei qui fecit te. Lib.
arb. II 16, 41: in teipsum redeas (zur Vergewisserung und Legitimation des Urteils).
 
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