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Grimm, Tilemann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 7. Abhandlung): Sinologische Anmerkungen zum europäischen Philosophiebegriff — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47800#0016
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Tilemann Grimm

übrigen ist es ein von außen, von uns an die Menschen in Ostasien her-
angetragenes Interesse. Dabei kommt es zu einer Reaktion, wie anders,
man sucht nun auch in China, in Japan, die Philosophie Ostasiens zu
entfalten, und dies ist, wohlverstanden, ein im Sinn des Wortes moder-
nes Unterfangen. Wir sollten uns daher fragen, wo ostasiatischem Den-
ken sozusagen „das Herz schlägt“, wo seine Mitte sei.
II. Die zweite Anmerkung
Damit trete ich ein in die Formulierung einer zweiten Anmerkung zum
europäischen Philosophiebegriff.
Denken und Schließen beruhen auf kognitiven Vorgängen, die für
unseren Versuch des Verstehens zur Sprache führen. Sprechen ist Re-
den und ist dann auch Niederschreiben. Entwicklung eines Sprachbaus
und seine Wiedergabe in Schrift sind zwei Vorgänge, sie sind das Ergeb-
nis zweier um lange Zeiträume getrennter denkerischer Bemühungen.
Das Chinesische steht in einem alten Zusammenhang der Sprachen
Zentral- und Südostasiens, mit dem Thai, dem Birmanischen, dem Ti-
betischen u. v. a. Sprachen. Sie werden zusammengefaßt als die Sino-
Tibetische Sprachenfamilie. Das Chinesische als Schrift ist eine unab-
hängige Erfindung vielleicht des 16. oder 15. vorchristlichen Jahrhun-
derts und hat in den Jahrtausenden danach den gesamten ostasiatischen
Raum, vorab Korea, Japan, Ryukyu und Vietnam beeinflußt - hier
würde ich nun von einer sinitischen Tradition sprechen; diese Schrift
war monosyllabisch begriffsfixiert, aber sie blieb nicht ideographisch,
wie schon die Anfänge bezeugen können, sondern sie nutzte das Phäno-
men der Homophonie vieler monosyllabisch gesprochenen Wörter, um
eine monosyllabische Begriffslautschrift zu entwickeln, d. h. ein Ideo-
gramm wurde seines Lautwertes wegen mehreren anderen gleichlauten-
den Begriffen unterlegt und durch ein bedeutungsanzeigendes Zeichen
auf seine Eindeutigkeit festgelegt - am Anfang des Referates habe ich
zwei Beispiele genannt.
Wir haben es folglich mit einer auf Kalligraphie angelegten Begriffs-
schrift zu tun, die den Linien eines Sprachbaus folgt, der sich letztlich
nur aus zwei Bedeutungsträgern zusammensetzen läßt, inhaltlich gefüll-
ten Sachbegriffen und inhaltsleeren Funktionswörtem, welchletztere
vornehmlich syntaktische Funktionen anzeigen. Die inhaltlich gefüllten
Begriffe unterliegen keinerlei Flektion, ihre Funktion ergibt sich aus
der Anordnung im Satz, drei Grundregeln sind dafür maßgebend: das
 
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