Sinologische Anmerkungen
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dann“, vom Auf-den-Grund-gehen der Dinge bis zur Befriedung des
ganzen Erdkreises. Dabei wird offenkundig, daß fünf der acht Thesen
allein mit der Person des, ja, darf ich sagen, konfuzianischen Meditie-
renden zu tun haben - ein Studium als Verinnerlichungsprozeß, das ein
Leben ausfüllen kann? Den Dingen auf den Grund gehen, heißt ja
nichts anderes als die unsichtbaren, allen Dingen innewohnenden „fei-
nen Äderchen“ des Weltbauplanes, gewissermaßen deren abstrakte
Blaupausen verstehen zu lernen. Ihrer sich vergewissert habend baut
sich die sittliche Person auf, um am Ziel, als Himmelssohn im Vollzug
des himmlischen Auftrags, den Erdkreis zu befrieden.
Da wir es nicht mit absoluten und kategorienbefrachteten Aussagen
zu tun haben, sondern mit Vergewisserungsthesen, läßt sich darauf ein
Erziehungs- und Handlungsprogramm aufbauen. Ein so orientierter
Neo-Konfuzianismus hat seit dem 12. bis ins 20. Jhdt. hinein gesell-
schafts- und kulturbestimmende Wirkung gehabt. Wir machen uns klar,
daß dies die Ethik einer Elite ausmacht, einer Bildungselite, die durch
Vorbild führen wollte, in der Bevölkerung im allgemeinen herrschte ein
breiter Utilitarismus, allerdings gebunden an eine rudimentäre Fami-
lienmoral. Die Moderne in China hat diesen Neo-Konfuzianismus in die
Nähe der Lebensphilosophie gerückt bzw. als metaphysischen Idealis-
mus in ihre neue Denkwelt einzuordnen gesucht.
III. Die dritte Anmerkung
Mit der Wende zur modernen Welt, die als solche europäischen Ur-
sprungs ist, erweitern sich sinologische Anmerkungen zum europäi-
schen Philosophiebegriff zu chinesischen Anmerkungen, wird die Ver-
mittlung chinesischen Denkens nach Europa durch den des Chinesi-
schen kundigen Europäer ergänzt durch den unmittelbaren Vortrag des
chinesischen Philosophen, der inzwischen das Fach Philosophie studiert
hat, das er in jeder Phase dieses Studiums seinem eigenen Erbe kon-
frontiert sah. Der europäische Philosophiebegriff ist damit wohl Be-
standteil auch des östlichen Philosophierens geworden, das gilt sicher
für Japan, kaum minder für China, wenngleich in der Bevorzugung des
Begriffs „Denken“ (si-xiang) vor dem eingangs erläuterten Philoso-
phiebegriff zhe-xüe eine neue fachübergreifende Vorstellung vom Feld
des Denkens sich anzudeuten scheint.
Wie geht die Rezipierung europäischer Philosophie im Osten vor
sich? Lassen sich bestimmte Schwerpunkte feststellen? Verschieben
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dann“, vom Auf-den-Grund-gehen der Dinge bis zur Befriedung des
ganzen Erdkreises. Dabei wird offenkundig, daß fünf der acht Thesen
allein mit der Person des, ja, darf ich sagen, konfuzianischen Meditie-
renden zu tun haben - ein Studium als Verinnerlichungsprozeß, das ein
Leben ausfüllen kann? Den Dingen auf den Grund gehen, heißt ja
nichts anderes als die unsichtbaren, allen Dingen innewohnenden „fei-
nen Äderchen“ des Weltbauplanes, gewissermaßen deren abstrakte
Blaupausen verstehen zu lernen. Ihrer sich vergewissert habend baut
sich die sittliche Person auf, um am Ziel, als Himmelssohn im Vollzug
des himmlischen Auftrags, den Erdkreis zu befrieden.
Da wir es nicht mit absoluten und kategorienbefrachteten Aussagen
zu tun haben, sondern mit Vergewisserungsthesen, läßt sich darauf ein
Erziehungs- und Handlungsprogramm aufbauen. Ein so orientierter
Neo-Konfuzianismus hat seit dem 12. bis ins 20. Jhdt. hinein gesell-
schafts- und kulturbestimmende Wirkung gehabt. Wir machen uns klar,
daß dies die Ethik einer Elite ausmacht, einer Bildungselite, die durch
Vorbild führen wollte, in der Bevölkerung im allgemeinen herrschte ein
breiter Utilitarismus, allerdings gebunden an eine rudimentäre Fami-
lienmoral. Die Moderne in China hat diesen Neo-Konfuzianismus in die
Nähe der Lebensphilosophie gerückt bzw. als metaphysischen Idealis-
mus in ihre neue Denkwelt einzuordnen gesucht.
III. Die dritte Anmerkung
Mit der Wende zur modernen Welt, die als solche europäischen Ur-
sprungs ist, erweitern sich sinologische Anmerkungen zum europäi-
schen Philosophiebegriff zu chinesischen Anmerkungen, wird die Ver-
mittlung chinesischen Denkens nach Europa durch den des Chinesi-
schen kundigen Europäer ergänzt durch den unmittelbaren Vortrag des
chinesischen Philosophen, der inzwischen das Fach Philosophie studiert
hat, das er in jeder Phase dieses Studiums seinem eigenen Erbe kon-
frontiert sah. Der europäische Philosophiebegriff ist damit wohl Be-
standteil auch des östlichen Philosophierens geworden, das gilt sicher
für Japan, kaum minder für China, wenngleich in der Bevorzugung des
Begriffs „Denken“ (si-xiang) vor dem eingangs erläuterten Philoso-
phiebegriff zhe-xüe eine neue fachübergreifende Vorstellung vom Feld
des Denkens sich anzudeuten scheint.
Wie geht die Rezipierung europäischer Philosophie im Osten vor
sich? Lassen sich bestimmte Schwerpunkte feststellen? Verschieben