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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1982, 1. Abhandlung): Achilleus in Jerusalem: eine spätantike Messingkanne mit Achilleus-Darstellungen aus Jerusalem ; vorgelegt am 28. November 1981 — Heidelberg: Winter, 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.47804#0037
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Achilleus in Jerusalem

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berührt. Nach Carl Sittl ist es ein Ausdruck des Schmerzes oder der
Verlegenheit, aber auch ein gern gebrauchtes Motiv bei Liebes-
szenen42. In seiner Beschreibung der Phaedra und einer Dienerin
auf einem Gemäldezyklus in seiner Heimatstadt um 500 n. Chr.
hebt Prokopios von Gaza diese Gebärde ausdrücklich hervor: „Du
siehst, wie ihr Unterarm durch Leidenschaft haltlos geworden ist
und kaum mit der Spitze des Fingers die Wange berührt“43. Bei der
zweiten Frauengestalt mag so diese stilisierte Gebärde verhaltene
Leidenschaft ausdrücken, freilich der Szene gemäß eher Schmerz
als Zuneigung.
Rätselhaft ist schließlich die Kleinheit des Leichnams Hektors im
Verhältnis zu den lebenden Gestalten, insbesondere zum thronen-
den Achilleus. Auch diese ganz unrealistische Relation steht in
schroffem Gegensatz zur Darstellung der Ilias, wo unmittelbar nach
der Tötung Hektors und dem Raub seiner Rüstung der nackte
Leichnam des Helden Bewunderung erweckt:
„Gleich umringten ihn andere Männer Achaias, welche den
Wuchs und die edle Gestalt des Hektor bestaunten.“ (oi xai ür|f|-
occvto (puf)v xai eiöoc; ayriTÖv /"Exropoc; 22, 370f. vgl. 402f.).
Dio Chrysostomos (21,16 f.) behandelt in seiner Rede Hept xaA-
Aou<; diesen Vers ausführlich. Um so mehr muß die den Gegner
entstellende Abbildung auf der Kanne auffallen. Durch ein Wunder
Apollons war ja der Leichnam Hektors vor der Zerstörung durch die
Schleifung geschützt worden (II. 24, 20 f.).
Dem winzigen Körper entspricht das geringe Gewicht des Goldes
auf der rechten Waagschale. Freilich würde die etwas zerbrechlich
aussehende Waage ein wesentlich schwereres Gewicht kaum tra-
gen. Der ursprüngliche Zweck des Waagemotivs, die ungeheure
Größe der Lösegeldforderung zum Ausdruck zu bringen, wird
dadurch im Grunde aufgehoben. Man könnte sich weiter fragen, ob
42 Die Gebärden der Griechen und Römer, Leipzig 1890, 272 f. Vgl. R. Brillant,
Gesture and Rank in Roman Art, New Haven/Conn., 1963, Fig. 1. 21 und p. 22.
Die Handhaltung geht auf klassische bzw. hellenistische Vorbilder zurück. Dazu
G. Neumann, Gesten und Gebärden in der griechischen Kunst, 1965, 165 ff.:
Besorgtes Nachdenken; 128ff.: Innerer Kampf; 130ff.: Banges Harren; 136ff.:
Gram; 141 ff.: Groll.
43 Paul Friedländer, Spätantiker Gemäldezyklus in Gaza. Des Prokopios von Gaza
EKOPASIS EIKONOS, Studi e testi 89, Vaticano 1939, 10 Z. 170ff: öpfi; öe
rrfj/vv xcci rtdüer Zvopevov xai p.6Zi<; ccxpcp öaxTUÄG) rfj«; Tuzpeidq ermlfavovra.
Vgl. 12 Z. 221 ff. Übersetzung und Kommentar 50 ff. 56 ff. sowie die Abbildung
der Rekonstruktion T. XI.
 
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