Sir Ronald Syme, 'Die römische Revolution’ und die deutsche Althistorie 41
Im Gegenteil dürften durch dieses Buch gewisse Möglichkeiten für
die Beschreibung der Geschichte Roms so definitiv ausgeschöpft,
gewisse Grenzen der Historiographie so offensichtlich erreicht worden
sein, daß es unmöglich wäre, den gleichen Weg zu gehen. Eine
Chance für den Fortschritt unserer Wissenschaft gibt es nur durch
neue Fragestellungen und neue Lösungen. Die narrative oder prag-
matische Geschichtsschreibung wurde durch 'Die römische Revolu-
tion’ zu einer derartigen Perfektion gebracht, daß Nachahmung schwer
fällt. Auch ist ein Weiterkommen in der Geschichtswissenschaft ohne
Theorie und eine strenge Terminologie schwerlich denkbar. Im glei-
chen Sinne demonstrierte 'Die römische Revolution’ auch die Gren-
zen einer nur auf einzelne Menschen gerichteten Historie: Nach
diesem Buch wird es kaum mehr möglich sein, einen entscheidenden
Wandel in der Geschichte eines Staates zu beschreiben, ohne die
permanenten Faktoren in der Geschichte wie Institutionen, Recht,
Verfassung, Wirtschaft, soziale Strukturen, religiöse Vorstellungen,
Ideologien zu beachten. Klar ersichtlich wurde auch, daß die Per-
spektive der 'lauernden Oligarchie’, selbst wenn sie in Symes Werk
so fruchtbar war, einseitig ist. Zu der berühmten These von Syme,
daß in jedem Regime eine Oligarchie hinter der Fassade lauert und
daß 'Roman history, Republican or Imperial, is the history of the
goveming dass’158, vermerkte A. Alfoldi m.E. zu Recht: 'Dies ist
wahr, wenn wir die aktuellen Maßnahmen der Regierenden und die
dadurch ausgelösten Reaktionen allein als geschichtsbildend auffassen.
Aber dieses für uns direkt greifbare Geschehen auf der Oberfläche
ist höchstens eine Manifestation einer sozialen Struktur, deren Wand-
lung und Wirkung viel eher in der Tiefe still und unbemerkbar vor
sich ging, unbemerkt von den meisten Zeitgenossen’159. Und schließ-
lich braucht es kaum betont zu werden, daß das Bild des Augustus
in der 'Römischen Revolution’ revisionsbedürftig ist; die Verwandlung
des Augustus vom Dux zum Princeps kann sicher in ein günstigeres
Licht gestellt werden. Ich hoffe, daß diese Kritik der 'Römischen
Revolution’, aus der Sicht einer späteren Generation, nicht mißver-
standen wird: Wie moderne Dichtung und moderne Musik von der-
jenigen Schillers und Beethovens verschieden sind, und wie es ein
Unsinn wäre, heute in Schillers Art Dramen oder in Beethovens
Art Symphonien zu komponieren, obwohl wir diesen unübertreff-
158 The Roman Revolution 7.
159 Bisher unveröffentlichte Notiz aus dem Nachlaß von A. Alfoldi.
Im Gegenteil dürften durch dieses Buch gewisse Möglichkeiten für
die Beschreibung der Geschichte Roms so definitiv ausgeschöpft,
gewisse Grenzen der Historiographie so offensichtlich erreicht worden
sein, daß es unmöglich wäre, den gleichen Weg zu gehen. Eine
Chance für den Fortschritt unserer Wissenschaft gibt es nur durch
neue Fragestellungen und neue Lösungen. Die narrative oder prag-
matische Geschichtsschreibung wurde durch 'Die römische Revolu-
tion’ zu einer derartigen Perfektion gebracht, daß Nachahmung schwer
fällt. Auch ist ein Weiterkommen in der Geschichtswissenschaft ohne
Theorie und eine strenge Terminologie schwerlich denkbar. Im glei-
chen Sinne demonstrierte 'Die römische Revolution’ auch die Gren-
zen einer nur auf einzelne Menschen gerichteten Historie: Nach
diesem Buch wird es kaum mehr möglich sein, einen entscheidenden
Wandel in der Geschichte eines Staates zu beschreiben, ohne die
permanenten Faktoren in der Geschichte wie Institutionen, Recht,
Verfassung, Wirtschaft, soziale Strukturen, religiöse Vorstellungen,
Ideologien zu beachten. Klar ersichtlich wurde auch, daß die Per-
spektive der 'lauernden Oligarchie’, selbst wenn sie in Symes Werk
so fruchtbar war, einseitig ist. Zu der berühmten These von Syme,
daß in jedem Regime eine Oligarchie hinter der Fassade lauert und
daß 'Roman history, Republican or Imperial, is the history of the
goveming dass’158, vermerkte A. Alfoldi m.E. zu Recht: 'Dies ist
wahr, wenn wir die aktuellen Maßnahmen der Regierenden und die
dadurch ausgelösten Reaktionen allein als geschichtsbildend auffassen.
Aber dieses für uns direkt greifbare Geschehen auf der Oberfläche
ist höchstens eine Manifestation einer sozialen Struktur, deren Wand-
lung und Wirkung viel eher in der Tiefe still und unbemerkbar vor
sich ging, unbemerkt von den meisten Zeitgenossen’159. Und schließ-
lich braucht es kaum betont zu werden, daß das Bild des Augustus
in der 'Römischen Revolution’ revisionsbedürftig ist; die Verwandlung
des Augustus vom Dux zum Princeps kann sicher in ein günstigeres
Licht gestellt werden. Ich hoffe, daß diese Kritik der 'Römischen
Revolution’, aus der Sicht einer späteren Generation, nicht mißver-
standen wird: Wie moderne Dichtung und moderne Musik von der-
jenigen Schillers und Beethovens verschieden sind, und wie es ein
Unsinn wäre, heute in Schillers Art Dramen oder in Beethovens
Art Symphonien zu komponieren, obwohl wir diesen unübertreff-
158 The Roman Revolution 7.
159 Bisher unveröffentlichte Notiz aus dem Nachlaß von A. Alfoldi.