Die orientalisierende Epoche
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sehen und kathartischen 'Techniken’ auch Elemente mythologischer 'Weisheit’
übertragen konnten, - nennt doch Homer an einer vielzitierten Stelle (Od. 17,
383-5) unter den wandernden δημιοεργοί an erster Stelle, noch vor dem Zim-
mermann, den Seher und Heiler, dann aber auch den 'göttlichen Sänger’. Zum
anderen werden dann Entsprechungen zusammengestellt, die auch direkten lite-
rarischen Einfluß der östlichen Hochkultur auf die letzte Phase, die Phase der
Verschriftlichung des Homerischen Epos vemuten lassen.
Die Ergebnisse, die sich mit einiger Sicherheit fassen lassen, bleiben in be-
scheidenen Dimensionen. Dafür ergibt sich die besondere, ja einmalige Situa-
tion, daß sich gleichzeitige Texte von beiden Seiten in Beziehung setzen lassen.
Dies ermöglicht Präzision und verpflichtet zu ihr. Im Gegensatz dazu sind bei
den an sich sensationelleren Verbindungen von Kumarbi und Illuyankas zu Hesiod
zusätzlich zu der Ost-West-Distanz jeweils fünf bis sechs Jahrhunderte hypothe-
tisch zu überbrücken. Diese vielbehandelten Probleme, überhaupt die Orient-
beziehungen Hesiods werden in vorliegender Studie nicht nochmals diskutiert29; sie
lassen sich den hier entworfenen Perspektiven durchaus einfügen, zumal ange-
sichts der Verbindung Hesiods mit Euboia. Im übrigen darf die Tatsache, daß
zwischen den Möglichkeiten bronzezeitlicher oder späterer Übernahme - die sich
zudem nicht ausschließen - nicht immer sicher zu entscheiden ist, nicht dazu dienen,
die Entlehnung in beiden Bereichen in Frage zu stellen.
Daß mit dem bloßen Faktum einer Entlehnung erst ein Ansatzpunkt zur Inter-
pretation gegeben ist, daß die Art der Adaption, der Selektion und Umarbei-
tung, der Einpassung in ein neues System wesentlich ist, bleibt anerkannt. Doch
kann die Versicherung, die schöpferische Umgestaltung durch die Griechen sei
interessanter als das allenfalls Erborgte30, wiederum zur Immunisierungsstrategie
werden, die das Faktum der Übernahme verdunkelt. Darum liegt der Nachdruck
hier zunächst auf dem Aufweis der Entsprechungen und der sich ergebenden
Wahrscheinlichkeit einer Entlehnung. Zu bedenken ist, daß in jener Epoche seit
Mitte des 8. Jahrhunderts, als direkte Kontakte zwischen Assyrien und Griechen
sich etablierten, die griechische Kultur ihrer selbst noch weniger sicher und darum
eher formbar und aufnahmewillig war als in den späteren Epochen. Auch wenn
im übrigen zuweilen das Material zum stringenten Beweis der Entlehnung nicht
ausreicht, hat die Feststellung der Entsprechungen ihren Wert, insofern sie das
griechische Material aus seiner Vereinzelung löst und einen Bereich des Ver-
gleichbaren konstituiert.
In diesem Sinn möchte die vorliegende Studie eine Aufgabe der Vermittlung
wahmehmen und die Aufmerksamkeit der klassischen Philologen auf Bereiche
29 Verwiesen sei neben Walcot (1966) vor allem auf West (1966) und (1978a).
30 locus classicus ist (Plat.) Epin. 987d.
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sehen und kathartischen 'Techniken’ auch Elemente mythologischer 'Weisheit’
übertragen konnten, - nennt doch Homer an einer vielzitierten Stelle (Od. 17,
383-5) unter den wandernden δημιοεργοί an erster Stelle, noch vor dem Zim-
mermann, den Seher und Heiler, dann aber auch den 'göttlichen Sänger’. Zum
anderen werden dann Entsprechungen zusammengestellt, die auch direkten lite-
rarischen Einfluß der östlichen Hochkultur auf die letzte Phase, die Phase der
Verschriftlichung des Homerischen Epos vemuten lassen.
Die Ergebnisse, die sich mit einiger Sicherheit fassen lassen, bleiben in be-
scheidenen Dimensionen. Dafür ergibt sich die besondere, ja einmalige Situa-
tion, daß sich gleichzeitige Texte von beiden Seiten in Beziehung setzen lassen.
Dies ermöglicht Präzision und verpflichtet zu ihr. Im Gegensatz dazu sind bei
den an sich sensationelleren Verbindungen von Kumarbi und Illuyankas zu Hesiod
zusätzlich zu der Ost-West-Distanz jeweils fünf bis sechs Jahrhunderte hypothe-
tisch zu überbrücken. Diese vielbehandelten Probleme, überhaupt die Orient-
beziehungen Hesiods werden in vorliegender Studie nicht nochmals diskutiert29; sie
lassen sich den hier entworfenen Perspektiven durchaus einfügen, zumal ange-
sichts der Verbindung Hesiods mit Euboia. Im übrigen darf die Tatsache, daß
zwischen den Möglichkeiten bronzezeitlicher oder späterer Übernahme - die sich
zudem nicht ausschließen - nicht immer sicher zu entscheiden ist, nicht dazu dienen,
die Entlehnung in beiden Bereichen in Frage zu stellen.
Daß mit dem bloßen Faktum einer Entlehnung erst ein Ansatzpunkt zur Inter-
pretation gegeben ist, daß die Art der Adaption, der Selektion und Umarbei-
tung, der Einpassung in ein neues System wesentlich ist, bleibt anerkannt. Doch
kann die Versicherung, die schöpferische Umgestaltung durch die Griechen sei
interessanter als das allenfalls Erborgte30, wiederum zur Immunisierungsstrategie
werden, die das Faktum der Übernahme verdunkelt. Darum liegt der Nachdruck
hier zunächst auf dem Aufweis der Entsprechungen und der sich ergebenden
Wahrscheinlichkeit einer Entlehnung. Zu bedenken ist, daß in jener Epoche seit
Mitte des 8. Jahrhunderts, als direkte Kontakte zwischen Assyrien und Griechen
sich etablierten, die griechische Kultur ihrer selbst noch weniger sicher und darum
eher formbar und aufnahmewillig war als in den späteren Epochen. Auch wenn
im übrigen zuweilen das Material zum stringenten Beweis der Entlehnung nicht
ausreicht, hat die Feststellung der Entsprechungen ihren Wert, insofern sie das
griechische Material aus seiner Vereinzelung löst und einen Bereich des Ver-
gleichbaren konstituiert.
In diesem Sinn möchte die vorliegende Studie eine Aufgabe der Vermittlung
wahmehmen und die Aufmerksamkeit der klassischen Philologen auf Bereiche
29 Verwiesen sei neben Walcot (1966) vor allem auf West (1966) und (1978a).
30 locus classicus ist (Plat.) Epin. 987d.