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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0044
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Walter Burkert

als 'Hauptbuch’ mit der ad hoc verwendeten Bleifolie, μολιβδίον, kontrastiert26.
Es ist kaum ein Zufall, daß im 5. Jh. gerade Orakelbücher als διφϋέραι erschei-
nen27. Als die Kontakte mit Ägypten reger wurden, hat sich Papyrus, billiger und
leichter, als Schriftträger durchgesetzt, frühestens seit der Epoche Psammetichs,
wahrscheinlich erst mit den Niederlassungen in Naukratis um 600. Daß der
Durchbruch zur Schriftlichkeit auch noch in Ionien vor dieser Epoche liegt, ist
in der Sprache gespiegelt. Charakteristisch scheint im übrigen die durchgehende
Verwendung von Deminutiva für die Schreibmaterialien zu sein: δελτίον διφϋέριον
μολιβδίον βιβλίον.
Akkadische Keilschrift, aramäisch-phönikische und griechische Alphabetschrift
stellen im 8. Jh. ein Kontinuum der Schriftkultur vom Euphrat bis Italien her.
Keilschrifttafeln finden sich noch in Tarsos, wo doch auch schon Griechen zu-
gegen waren. Weiter östlich, in Guzana, wickelt der gleiche Kaufmann seine Kor-
respondenz teils in Keilschrift, teils aramäisch ab28. Daß die Zusammenhänge über
Geschäftsbücher hinausreichen, hat Carl Wendel anhand der 'Buchbeschreibung’
aufgezeigt: insbesondere die Praxis der subscriptio, die Angabe von Autor und
Titel am Ende des 'Buchs’ stimmt detailliert und ausschließlich mit der Anlage
der Keilschrifttafeln überein und ist von diesen herzuleiten, wobei aramäische
Lederrollen als Zwischenglieder anzunehmen sind29. Hier freilich zeigt sich am
deutlichsten der katastrophale Zufall der Überlieferung: die gesamte aramäisch-
phönikische Literatur ist mitsamt ihrem vergänglichen Schreibmaterial unterge-
gangen, mit Ausnahme jenes seinerzeit eher provinziellen Ablegers in Israel, der
als Heilige Schrift erhalten blieb. Daß überhaupt literarische Keilschrifttexte auf
aramäische Lederrollen-Literatur eingewirkt haben, dafür gibt es immerhin zwei
Anhaltspunkte: Der einzige kümmerliche Rest aramäischer profaner Literatur liegt
im Achiqar-Fragment aus Elephantine vor. Der Achiqar-Roman, der durch die
späteren, vor allem die aramäisch-syrische Bearbeitung seit je bekannt war, spielt
in Assyrien zur Zeit des Königs Sanherib, ja verwendet möglicherweise historische
Namen. Die Komposition selbst entstand aller Wahrscheinlichkeit erst nach der
Katastrophe von Ninive, doch steht sie noch ganz unter dem Eindruck der As-
syrerzeit; die Verbreitung des Textes zeugt von der kontinuierlichen Tradition von
Mesopotamien über Syrien nach Palästina und Ägypten30. Vielleicht noch wichtiger
26 Hdt. 5, 58; J. G. Vinogradov, Olbia. Xenia, Konstanzer althistorische Beiträge und For-
schungen 1 (1981) 19; μολιβδίον SEG 26 (1976/7) 845 rev.
27 Eur. Fr. 627; Sprichwort άρχαιότερα τής διφϋέρας. Diog. 3, 2 (Paroemiogr. Gr. I 214);
vgl. Zenob. 4, 11; Porphyrios Schol. B II. 1, 175. Zu διφϋεραλοιφός Anm. 8.
28 J. Friedrich, G. R. Meyer, A. Ungnad, E. Weidner, Die Inschriften vom Teil Halaf (1940)
47 (nr. 101-6) und 70-78 (nr. 1-5). Zu Tarsos -* II 2, 7; II 4, 6.
29 Wendel (1949).
30 F. C. Conybeare, J. Rendell Harris, A. Smith Lewis, The Story of Ahikar from the
Aramaic, Syriac, Arabic, Armenian, Ethiopic, Old Turkish, Greek and Slavonic Versions
(19132; 18981 ohne den aramäischen Text); F. Nau, Histoire et sagesse d’Achikar l’As-
 
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