Die orientalisierende Epoche
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ist, daß unter den Resten aramäischer Lederrollen aus Qumran, in einem Frag-
ment des aramäischen Henoch-Buchs, als mythischer Riese Gilgames auftaucht31:
von der Hauptperson des bedeutendsten Werks der Keilschrift-Literatur ist ein
Nachhall noch im aramäischen Schrifttum des 3. Jh. geblieben. Auf irgendeinem
Weg ist der Name Gilgamos ja auch zu den Griechen gelangt32.
Um vorsichtig zu sein: auch wenn Beziehungen der aramäisch-phönikischen
Lederrollen-Literatur zur griechischen Literatur feststehen, müssen sie nicht über
griechische διφθέραι des 8. Jh. v. Chr. gelaufen sein. Hauptzeugnis eines viel
späteren Kontaktes ist die Septuaginta; doch auch die griechische Bearbeitung
des Achiqar-Romans, die in der Äsop-Vita vorliegt, ist wohl erst in hellenistischer
Zeit entstanden33; die Händler und Schmiede im Umkreis von Pithekussai dürf-
ten sich kaum um Bücher im literarischen Sinn gekümmert haben - und doch
stellt die Inschrift des Nestor-Bechers auch diese negative These wieder in Frage.
Jedenfalls ist die Behauptung, die Griechen hätten nur das pure Alphabet und
sonst nichts von den 'Phönikem’ übernommen, sie hätten die weiteren Errun-
genschaften ihrer Schriftkultur ganz selbständig geschaffen34, mit Zurückhaltung
aufzunehmen. Zumindest Schreibtafel und Lederrolle gingen mit der Schrift ein-
her, und sie prägten den Begriff des Buchs; nichts begann mit tabula rasa. Im
übrigen ist gerade auf diesem Gebiet der semitischen Schriftkultur so viel so
vollständig verlorengegangen, daß eher mit reicheren und dichteren Beziehungen
zu rechnen ist als dies sich aus den kümmerlichen Resten erweisen läßt. Jeder
Neufund in diesem Jahrhundert, sei es in Elephantine oder Qumran, in Kara-
tepe oder Deir'Alla35 hat neue, oft unerwartete Verbindungen ans Licht gebracht.
Syrien (1909); der Text aus Elephantine: E. Sachau, Aramäische Papyrus und Ostraka
aus einer jüdischen Militär-Kolonie zu Elephantine (1911) 147-82, T. 40-50; A. Ungnad,
Aramäische Papyrus aus Elephantine (1912); dazu E. Meyer, Der Papyrusfund von Ele-
phantine und seine Bedeutung (1912) 102-28; Th. Nöldeke, Untersuchungen zum Achiqar-
Roman, Abh. Göttingen N.F. 14, 4, 1913; A. Hausrath. Achiqar and Aesop, SBHeid.
1918, 2. Neue Übersetzung: P. Grelot, Documents arameens d’Egypte (1972) 427-52.
Erwähnt ist Achiqar im Buch Tobit 14, 10.
31 GLGMS, J. T. Milik, The Books of Enoch (1976) 313 (3. Jh. v. Chr.). - Zu akkadi-
scher religiöser Tradition bei Aramäern vgl. Lipihski (1976).
32 Ael. n. an. 12, 21.
33 Rodriguez Adrados (1979) 290-3, 674f., 680-7; id. QUCC 30 (1979) 93-112. Doch ist
Ακίκαρος spätestens seit Theophrast (D. L. 5, 50) den Griechen bekannt; Demokrit
B 299 = Clem. Str. 1, 69, 4 ist apokryph. Unsicher Poseidonios Fr. 133 Theiler = Strab.
16 p. 762 Άχαίκορος, παρά Βοσπορηνοΐς.
34 J. Goody, J. Watt in: J. Goody (ed.), Literacy in Traditional Societies (1968) 42. Vgl. III.
35 J. Hoftijzer, G. van der Kooij, Aramaic Texts from Deir cAlla (1976); vgl. W. Burkert in:
D. Hellholm (ed.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East (1983)
246. Zu Mopsos und Karatepe -> II 2, 31. Auf literarischer Abhängigkeit griechischer
Literatur vom Orient bestand Dornseiff (1937); vgl. auch West (1968) und (1978); zu
direkt D. Fehling, Zur Funktion und Formgeschichte des Proömiums in der älteren
griechischen Prosa, in: Dorema H. Diller zum 70. Geburtstag (1975) 61-75.
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ist, daß unter den Resten aramäischer Lederrollen aus Qumran, in einem Frag-
ment des aramäischen Henoch-Buchs, als mythischer Riese Gilgames auftaucht31:
von der Hauptperson des bedeutendsten Werks der Keilschrift-Literatur ist ein
Nachhall noch im aramäischen Schrifttum des 3. Jh. geblieben. Auf irgendeinem
Weg ist der Name Gilgamos ja auch zu den Griechen gelangt32.
Um vorsichtig zu sein: auch wenn Beziehungen der aramäisch-phönikischen
Lederrollen-Literatur zur griechischen Literatur feststehen, müssen sie nicht über
griechische διφθέραι des 8. Jh. v. Chr. gelaufen sein. Hauptzeugnis eines viel
späteren Kontaktes ist die Septuaginta; doch auch die griechische Bearbeitung
des Achiqar-Romans, die in der Äsop-Vita vorliegt, ist wohl erst in hellenistischer
Zeit entstanden33; die Händler und Schmiede im Umkreis von Pithekussai dürf-
ten sich kaum um Bücher im literarischen Sinn gekümmert haben - und doch
stellt die Inschrift des Nestor-Bechers auch diese negative These wieder in Frage.
Jedenfalls ist die Behauptung, die Griechen hätten nur das pure Alphabet und
sonst nichts von den 'Phönikem’ übernommen, sie hätten die weiteren Errun-
genschaften ihrer Schriftkultur ganz selbständig geschaffen34, mit Zurückhaltung
aufzunehmen. Zumindest Schreibtafel und Lederrolle gingen mit der Schrift ein-
her, und sie prägten den Begriff des Buchs; nichts begann mit tabula rasa. Im
übrigen ist gerade auf diesem Gebiet der semitischen Schriftkultur so viel so
vollständig verlorengegangen, daß eher mit reicheren und dichteren Beziehungen
zu rechnen ist als dies sich aus den kümmerlichen Resten erweisen läßt. Jeder
Neufund in diesem Jahrhundert, sei es in Elephantine oder Qumran, in Kara-
tepe oder Deir'Alla35 hat neue, oft unerwartete Verbindungen ans Licht gebracht.
Syrien (1909); der Text aus Elephantine: E. Sachau, Aramäische Papyrus und Ostraka
aus einer jüdischen Militär-Kolonie zu Elephantine (1911) 147-82, T. 40-50; A. Ungnad,
Aramäische Papyrus aus Elephantine (1912); dazu E. Meyer, Der Papyrusfund von Ele-
phantine und seine Bedeutung (1912) 102-28; Th. Nöldeke, Untersuchungen zum Achiqar-
Roman, Abh. Göttingen N.F. 14, 4, 1913; A. Hausrath. Achiqar and Aesop, SBHeid.
1918, 2. Neue Übersetzung: P. Grelot, Documents arameens d’Egypte (1972) 427-52.
Erwähnt ist Achiqar im Buch Tobit 14, 10.
31 GLGMS, J. T. Milik, The Books of Enoch (1976) 313 (3. Jh. v. Chr.). - Zu akkadi-
scher religiöser Tradition bei Aramäern vgl. Lipihski (1976).
32 Ael. n. an. 12, 21.
33 Rodriguez Adrados (1979) 290-3, 674f., 680-7; id. QUCC 30 (1979) 93-112. Doch ist
Ακίκαρος spätestens seit Theophrast (D. L. 5, 50) den Griechen bekannt; Demokrit
B 299 = Clem. Str. 1, 69, 4 ist apokryph. Unsicher Poseidonios Fr. 133 Theiler = Strab.
16 p. 762 Άχαίκορος, παρά Βοσπορηνοΐς.
34 J. Goody, J. Watt in: J. Goody (ed.), Literacy in Traditional Societies (1968) 42. Vgl. III.
35 J. Hoftijzer, G. van der Kooij, Aramaic Texts from Deir cAlla (1976); vgl. W. Burkert in:
D. Hellholm (ed.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East (1983)
246. Zu Mopsos und Karatepe -> II 2, 31. Auf literarischer Abhängigkeit griechischer
Literatur vom Orient bestand Dornseiff (1937); vgl. auch West (1968) und (1978); zu
direkt D. Fehling, Zur Funktion und Formgeschichte des Proömiums in der älteren
griechischen Prosa, in: Dorema H. Diller zum 70. Geburtstag (1975) 61-75.