Die orientalisierende Epoche
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tiker mag daraus den Schluß ziehen, es handle sich um Unsinn überall; der
Historiker indessen findet gerade in Übereinstimmungen des scheinbar Absurden,
nicht natürlich Gegebenen den deutlichsten Beweis für kulturelle Diffusion. Daß
dabei Abweichungen im einzelnen eintreten, ist zu erwarten; daß die jeweils sich
stabilisierenden Einzelformen dem jeweiligen Kulturkontext angepaßt werden,
ist richtig und wichtig. So ist bezeichnend, daß die griechische Mantik offenbar
weit mehr visuell-assoziativ vorgeht, ohne den fast schon scholastischen Ballast
etruskischer Disziplin; umgekehrt hat diese wohl mehr von der Herkunft be-
wahrt. Die Ähnlichkeiten zeugen jedenfalls für einen Zusammenhang, der alle
einzelnen Ausformungen verbindet. Die Ausbreitung der Hepatoskopie ist eines
der klarsten Beispiele für Kulturkontakt in der orientalisierenden Epoche. Es muß
hier zu ostwestlichen Verständigungen auf einigermaßen hohem Niveau gekom-
men sein. Die einleuchtende Voraussetzung hierfür liefert die Mobilität der wan-
dernden Charismatiker, der gesuchten Spezialisten, die doch in ihrer Kunst je
ihrem Lehrvater verpflichtet waren. Nur in Ausnahmefällen kann derartiges ar-
chäologisch faßbare Spuren hinterlassen, ein Lebermodell oder auch ein 'Humbaba-
Gesichf.
In bemerkenswerter Weise aber hat der wandernde Mantis sich in die griechi-
sche Mythologie eingeprägt. Ein Name, der Orient und Griechenland verbindet,
ist der des Sehers Mopsos. Für die griechische Überlieferung, die vor allem in der
hesiodeischen Melampodie fixiert war29, ist er ein Enkel des Teiresias, der erst
das Orakel von Klaros gründete und schließlich nach Kilikien auswanderte, wo
die Stadt Mopsuestia dauerhaft seinen Namen trug. Überraschend ist der Name
Mopsos nun einerseits, als Muksus, in einem hethitischen Bericht aufgetaucht30,
andererseits lehrte die Inschrift von Karatepe in Kilikien im 8. Jh. einen König
Azitawadda aus dem 'Haus des Mopsos’ kennen31; die hieroglyphenluwische
Namensform führt dabei auf Moxos, ein Name, der bezeichnenderweise in klein-
asiatischer Überlieferung bewahrt ist32, die phönikische auf Mopsos. Wie diese
Zeugnisse zu einem Bild der Geschichte Kleinasiens zu kombinieren sind, ist
ein Problem, das hier nicht zu erörtern ist. Es genügt die Feststellung, daß ein
Name hethitisch-kilikischer Tradition im griechischen Mythos einen der großen
29 Die Hauptquellen jetzt bei Prinz (1979) 382-4, vgl. 23-8, der freie Erfindung postu-
liert; I. Löffler, Die Melampodie (1963) 47-51.
30 Maduwattas-Text, A. Goetze, Maduwattas, Mitteilungen der Vorderasiatisch-ägyptischen
Gesellschaft 32 (1928) 37. Zur Datierung: H. Otten, Sprachliche Stellung und Datierung
des Maduwatta-Textes (1969); J. D. Muhly Historia 23 (1974) 139-45; R. D. Barnett
Cambridge Ancient History II 23 (1975) 363-6.
31 KAI Nr. 26 I 16; ib. II, 11; ib. III, 12; F. Bron, Recherches sur les inscriptions
de Karatepe (1979) 172-6; vgl. Barnett a.O.; A. Strobel, Der spätbronzezeitliche See-
völkersturm (1976) 31-8.
32 Xanthos der Lyder FGrHist 765 F 17. Ein Name mo-qo-so erscheint in Linear B, KN
De 1381. B; PY Sa 774.
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tiker mag daraus den Schluß ziehen, es handle sich um Unsinn überall; der
Historiker indessen findet gerade in Übereinstimmungen des scheinbar Absurden,
nicht natürlich Gegebenen den deutlichsten Beweis für kulturelle Diffusion. Daß
dabei Abweichungen im einzelnen eintreten, ist zu erwarten; daß die jeweils sich
stabilisierenden Einzelformen dem jeweiligen Kulturkontext angepaßt werden,
ist richtig und wichtig. So ist bezeichnend, daß die griechische Mantik offenbar
weit mehr visuell-assoziativ vorgeht, ohne den fast schon scholastischen Ballast
etruskischer Disziplin; umgekehrt hat diese wohl mehr von der Herkunft be-
wahrt. Die Ähnlichkeiten zeugen jedenfalls für einen Zusammenhang, der alle
einzelnen Ausformungen verbindet. Die Ausbreitung der Hepatoskopie ist eines
der klarsten Beispiele für Kulturkontakt in der orientalisierenden Epoche. Es muß
hier zu ostwestlichen Verständigungen auf einigermaßen hohem Niveau gekom-
men sein. Die einleuchtende Voraussetzung hierfür liefert die Mobilität der wan-
dernden Charismatiker, der gesuchten Spezialisten, die doch in ihrer Kunst je
ihrem Lehrvater verpflichtet waren. Nur in Ausnahmefällen kann derartiges ar-
chäologisch faßbare Spuren hinterlassen, ein Lebermodell oder auch ein 'Humbaba-
Gesichf.
In bemerkenswerter Weise aber hat der wandernde Mantis sich in die griechi-
sche Mythologie eingeprägt. Ein Name, der Orient und Griechenland verbindet,
ist der des Sehers Mopsos. Für die griechische Überlieferung, die vor allem in der
hesiodeischen Melampodie fixiert war29, ist er ein Enkel des Teiresias, der erst
das Orakel von Klaros gründete und schließlich nach Kilikien auswanderte, wo
die Stadt Mopsuestia dauerhaft seinen Namen trug. Überraschend ist der Name
Mopsos nun einerseits, als Muksus, in einem hethitischen Bericht aufgetaucht30,
andererseits lehrte die Inschrift von Karatepe in Kilikien im 8. Jh. einen König
Azitawadda aus dem 'Haus des Mopsos’ kennen31; die hieroglyphenluwische
Namensform führt dabei auf Moxos, ein Name, der bezeichnenderweise in klein-
asiatischer Überlieferung bewahrt ist32, die phönikische auf Mopsos. Wie diese
Zeugnisse zu einem Bild der Geschichte Kleinasiens zu kombinieren sind, ist
ein Problem, das hier nicht zu erörtern ist. Es genügt die Feststellung, daß ein
Name hethitisch-kilikischer Tradition im griechischen Mythos einen der großen
29 Die Hauptquellen jetzt bei Prinz (1979) 382-4, vgl. 23-8, der freie Erfindung postu-
liert; I. Löffler, Die Melampodie (1963) 47-51.
30 Maduwattas-Text, A. Goetze, Maduwattas, Mitteilungen der Vorderasiatisch-ägyptischen
Gesellschaft 32 (1928) 37. Zur Datierung: H. Otten, Sprachliche Stellung und Datierung
des Maduwatta-Textes (1969); J. D. Muhly Historia 23 (1974) 139-45; R. D. Barnett
Cambridge Ancient History II 23 (1975) 363-6.
31 KAI Nr. 26 I 16; ib. II, 11; ib. III, 12; F. Bron, Recherches sur les inscriptions
de Karatepe (1979) 172-6; vgl. Barnett a.O.; A. Strobel, Der spätbronzezeitliche See-
völkersturm (1976) 31-8.
32 Xanthos der Lyder FGrHist 765 F 17. Ein Name mo-qo-so erscheint in Linear B, KN
De 1381. B; PY Sa 774.