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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0077
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Die orientalisierende Epoche

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sen Familien“ auftreten, in „Wahnsinn“ - dies erinnert wieder an Orestes der „aus
alten, ungereinigten Unrechtstaten für die Menschen kommt“18. Platon möchte
den moralischen Faktor betonen und kann doch nicht umhin, die 'Reinigungen’
zu nennen. Spezialist für solche Reinigungen aber ist wiederum Epimenides, der
„nicht über Zukünftiges, sondern über Vergangenes“ weissagte19.
Nun fehlt es nicht an Menschen, die gerade den 'Zorn’ der Totengeister sich
gerne nutzbar machen durch Schadenzauber. Eine in der ganzen Antike bekannte
Praxis ist, Bilder des zu Schädigenden herzustellen und in Gräbern zu vergraben;
so verfallen sie den Toten und den Göttern der Toten. Eine solche 'Rachepuppe’
aus Perikleischer Zeit wurde im Kerameikos gefunden; die gleiche Praxis wird
von bösen Hexern aber auch im Zweistromland angewandt. So klagt der Kranke:
„Figuren von mir habt ihr einer Leiche übergeben“, man hat „meine Bilder ins
Grab gelegt“; „wenn eines Menschen Bilder hinter ihm einem Toten übergeben
sind“, spürt dies der Betroffene durch Verlust an Lebenskraft. Gegenzauber-
Rezepte enthält vor allem die Sammlung Maqlü20.
Auch andere Formen des Schadenzaubers treten hier wie dort auf: daß man
„die Gestalt nachbildet“, „Speichel nimmt, Haar, Gewandsaum, Fußspuren“21,
mag freilich als Allerweltszauber erscheinen. Den 'Gewandsaum’ verwendet natür-
lich auch die Pharmakeutria Theokrits22. Immerhin gibt es auch akkadischen
Liebeszauber unter Verwendung von Figuren23, die Pharmakeutria aber beruft
sich ausdrücklich auf einen „Fremden aus Assyrien“, von dem sie ein besonders
wirkungsvolles Mittel hat24. Dies ist hellenistisch; doch schon Platon schildert den
unheimlichen Eindruck, den es bei den Bürgern einer Stadt macht, „wenn sie
wächserne Nachbildungen erblicken, vor den Türen oder an den Dreiwegen oder
auf Gräbern, vielleicht denen der eigenen Eltern“25: die magischen Praktiken
sind längst vorher zugegen; und in gleicher Weise erschrickt man in Babylon
über „Machwerke, die sich zeigen“ und „Lebensabschneidung“ anzeigen26: hier
ist Gegenzauber vonnöten.
Unmittelbar anschaulich und eindrücklich ist der Vernichtungsritus, der wäch-
serne Bilder zerschmelzen läßt; dies wird wie bei Theokrit auch in Mesopota-

18 Plat. Leg. 854b; Phdr. 244d. Vgl. Trag. Adesp. F 637, 16 Snell; Eur. Phoin. 934 - beide
Male ist der μάντις zur Stelle, sich mit dem μήνιμα zu befassen.
19 Arist. Rhet. 1418 a 24-6 = FGrHist 457 F 1.
20 J. Trumpf, Fluchtafel und Rachepuppe, AM 73 (1958) 94-102. Burkert (1977) 129. -
Maqlü 4, 27-47; Vgl. 1, 1; Ebeling (1919) II 38, 26 = Castellino (1977) 675, 27; Färber
(1977) III 10; Ebeling (1931) 133, nr. 30 A Subscriptio.
21 Maqlü 1, 131ff. = Castellino (1977) 618. Biggs (1967) 28.
22 Theokr. 2, 53.
23 Biggs (1967), bes. 28, Z 22-24: Figuren aus Wachs, Talg, Bitumen, Gips.
24 Theokr. 2, 162; φίλτροις καταδήσομαι 159.
25 Plat. Leg. 933b.
26 Ebeling (1931) 71 nr. 17, 2.
 
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