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Walter Burkert
Damit hat Lamastu, wie oft schon diskutiert wurde, eine ganze Reihe von
Zügen mit der griechischen Gorgo gemeinsam16. Dies betrifft weniger das eigent-
liche Gorgonengesicht; auch dieses hat zwar Löwenzüge, doch ist das Löwenhafte
nur ein Element dieser Sonderschöpfung; es wird immer en face dargestellt,
Lamastu immer im Profil. Wohl aber betrifft die Entsprechung die Hängebrüste
und das Knielaufschema, vor allem aber das ikonographische Ambiente. Nimmt
man als Beispiel die berühmte Gorgo vom Tempel in Korfu17, so erscheint diese
im Knielauf, zwischen zwei 'Löwen’, zwei Schlangen sind ihr Gürtel, Pferd und
Mensch, ihre 'Kinder’, berühren ihre Hände rechts und links. Fast alle diese
Elemente, mit Ausnahme des 'Menschen’ Chrysaor, haben ihre Entsprechung
im Lamastu-Bild. Übrigens kann gelegentlich auch Gorgo, wie Lamastu, zwei
Schlangen fassen. Daß Pferd statt Esel steht, ist eine geringfügige Verschiebung.
Und doch: alle diese Elemente sind gleichsam durcheinandergeschüttelt, aus ihrem
Zusammenhang gerissen und in eine neue Ordnung gebracht. Identisch ist zwar
die Grundvorstellung: die fliehende Unholdin, doch der griechische Mythos hat
ein ganz neues System entworfen, mit Perseus, Pegasos, Chrysaor; Ross und
Krieger sind Geschöpfe einer Initiationsprobe, der bewaffnete Held, nicht der
Magier vertreibt die Dämonin. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Schöpfer von
Gorgonen-Kompositionen dieser Art Lamastu-Tafeln gesehen haben; sie haben
aber die Bilder naiv und ohne Kommentar genommen und daraus gemacht, was
eigene Überlieferung ihnen nahelegte.
Gerade die Beziehung des Perseus-Gorgo-Mythos zum Orient ist aber noch
komplexer. Zum einen wird der Andromeda-Mythos in loppe-Jaffa lokalisiert18,
zum andern hat Perseus merkwürdige Beziehungen zu Tarsos19. Ikonographische
Vorbilder für den Ketos-Kampf sind in der orientalischen Siegelkunst durchaus
gegeben20, auch für die Tötung eines weiblichen Monsters durch einen jugend-
lichen Helden21. Freilich ist die Benennung der Szenen gerade innerhalb der orien-
16 Allgemein zur Gorgo-Ikonographie Th. G. Karayorga, Γοργείη Κεφαλή (1970); J. Floren,
Studien zur Typologie des Gorgoneion (1977); zu orientalischen Beziehungen: C. Hop-
kins, Assyrian Elements in the Perseus-Gorgon Story, AJA 38 (1934) 341-58; vgl.
Μ. E. Will, Rev. Arch. VI 27 (1942) 60-76; Hopkins (1961); Goldman (1961); Bar-
nett (1960) 145-8; H. J. Kantor, A Bronze Plaque with Relief Decoration from Teil
Tainat, JNES 21 (1962) 93-117; Akurgal (1966) 187; Helck (1979) 214f.; von Pazuzu
übernommene Details weist Boardman (1981) 93 nach.
17 Z.B. G. Richter, A Handbook of Greek Art (1959) 63; Schefold (1964) 49. - Gorgo
zwischen 2 Schlangen: Goldanhänger von Delphi, Hopkins (1961) T. 15, 2.
18 Strabo 16 p. 759; Konon FGrHist 26 F 1, 40; los. bell. lud. 3, 420; Plin. n.h. 5, 69; 128;
Paus. 4, 35, 9.
19 Münzen von Tarsos, Burkert (1972a) 232, 25.
20 Z.B. Ward (1910) 201 nr. 578 = S. N. Kramer, Sumerian Mythology (19612) T. 19, 2 -
West (1971) T. Ila; Ward ib. nr. 579.
21 Die sog. 'Polyphema’-Darstellungen: E. Unger DLZ 85 (1964) 694, 1; Μ. Knox JHS
99 (1979) 164f.
Walter Burkert
Damit hat Lamastu, wie oft schon diskutiert wurde, eine ganze Reihe von
Zügen mit der griechischen Gorgo gemeinsam16. Dies betrifft weniger das eigent-
liche Gorgonengesicht; auch dieses hat zwar Löwenzüge, doch ist das Löwenhafte
nur ein Element dieser Sonderschöpfung; es wird immer en face dargestellt,
Lamastu immer im Profil. Wohl aber betrifft die Entsprechung die Hängebrüste
und das Knielaufschema, vor allem aber das ikonographische Ambiente. Nimmt
man als Beispiel die berühmte Gorgo vom Tempel in Korfu17, so erscheint diese
im Knielauf, zwischen zwei 'Löwen’, zwei Schlangen sind ihr Gürtel, Pferd und
Mensch, ihre 'Kinder’, berühren ihre Hände rechts und links. Fast alle diese
Elemente, mit Ausnahme des 'Menschen’ Chrysaor, haben ihre Entsprechung
im Lamastu-Bild. Übrigens kann gelegentlich auch Gorgo, wie Lamastu, zwei
Schlangen fassen. Daß Pferd statt Esel steht, ist eine geringfügige Verschiebung.
Und doch: alle diese Elemente sind gleichsam durcheinandergeschüttelt, aus ihrem
Zusammenhang gerissen und in eine neue Ordnung gebracht. Identisch ist zwar
die Grundvorstellung: die fliehende Unholdin, doch der griechische Mythos hat
ein ganz neues System entworfen, mit Perseus, Pegasos, Chrysaor; Ross und
Krieger sind Geschöpfe einer Initiationsprobe, der bewaffnete Held, nicht der
Magier vertreibt die Dämonin. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Schöpfer von
Gorgonen-Kompositionen dieser Art Lamastu-Tafeln gesehen haben; sie haben
aber die Bilder naiv und ohne Kommentar genommen und daraus gemacht, was
eigene Überlieferung ihnen nahelegte.
Gerade die Beziehung des Perseus-Gorgo-Mythos zum Orient ist aber noch
komplexer. Zum einen wird der Andromeda-Mythos in loppe-Jaffa lokalisiert18,
zum andern hat Perseus merkwürdige Beziehungen zu Tarsos19. Ikonographische
Vorbilder für den Ketos-Kampf sind in der orientalischen Siegelkunst durchaus
gegeben20, auch für die Tötung eines weiblichen Monsters durch einen jugend-
lichen Helden21. Freilich ist die Benennung der Szenen gerade innerhalb der orien-
16 Allgemein zur Gorgo-Ikonographie Th. G. Karayorga, Γοργείη Κεφαλή (1970); J. Floren,
Studien zur Typologie des Gorgoneion (1977); zu orientalischen Beziehungen: C. Hop-
kins, Assyrian Elements in the Perseus-Gorgon Story, AJA 38 (1934) 341-58; vgl.
Μ. E. Will, Rev. Arch. VI 27 (1942) 60-76; Hopkins (1961); Goldman (1961); Bar-
nett (1960) 145-8; H. J. Kantor, A Bronze Plaque with Relief Decoration from Teil
Tainat, JNES 21 (1962) 93-117; Akurgal (1966) 187; Helck (1979) 214f.; von Pazuzu
übernommene Details weist Boardman (1981) 93 nach.
17 Z.B. G. Richter, A Handbook of Greek Art (1959) 63; Schefold (1964) 49. - Gorgo
zwischen 2 Schlangen: Goldanhänger von Delphi, Hopkins (1961) T. 15, 2.
18 Strabo 16 p. 759; Konon FGrHist 26 F 1, 40; los. bell. lud. 3, 420; Plin. n.h. 5, 69; 128;
Paus. 4, 35, 9.
19 Münzen von Tarsos, Burkert (1972a) 232, 25.
20 Z.B. Ward (1910) 201 nr. 578 = S. N. Kramer, Sumerian Mythology (19612) T. 19, 2 -
West (1971) T. Ila; Ward ib. nr. 579.
21 Die sog. 'Polyphema’-Darstellungen: E. Unger DLZ 85 (1964) 694, 1; Μ. Knox JHS
99 (1979) 164f.