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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0093
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Die orientalisierende Epoche

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talischen Siegelkunst keineswegs einfach; die Beziehung zu den bekannten mytho-
logischen Epen wie Gilgames ist nicht zu sichern. Besonders merkwürdig nun
ist ein syrisches Siegel aus Cypem, das nach Berlin gelangt ist22: ein übergroßes
dämonisches Wesen, en face im Knielauf dargestellt, ist von einem jugendlichen
Helden gepackt, der in der rechten Hand ein Sichelschwert, eine 'Harpe’ hoch-
hält; dabei hat er sein Gesicht auffällig vom Gegner abgewandt; er trägt Flügel-
schuhe; hinter ihm ist ein großer Fisch dargestellt. Dieses Siegel ist bereits in
Roschers Mythologischem Lexikon abgebildet und mit Selbstverständlichkeit als
Darstellung von Perseus’ Angriff auf Gorgo in Anspruch genommen23. Mit gleicher
Selbstverständlichkeit hat neuerdings Pierre Amiet das Bild im Rahmen orientali-
scher mythologischer Darstellungen behandelt, ohne sich veranlaßt zu sehen
Perseus und Gorgo auch nur zu erwähnen. Er erinnert an den ugaritischen
Mythos vom Kampf der Göttin Anat gegen Mot24. Nicht zu Gorgo stimmt, daß
das Ungeheuer Vogelkrallen hat; dies erinnert wiederum an Lamastu. Es sei hier
nicht versucht, über die Deutung zu entscheiden. Texte des 8. Jh. aus Syrien
oder Cypem, die das Rätsel vielleicht lösen könnten, stehen uns nicht zur Ver-
fügung. Auf jeden Fall ist dieses Bild ein bezeichnendes Dokument für die Ver-
schlungenheit der ostwestlichen Kontakte in der orientalisierenden Epoche: Bilder
und wohl auch Erzählmotive werden mehrdeutig, gehen neue Konstellationen
ein, werden von verschiedenen Seiten verschieden 'verstanden’. Man mag das
schöpferische Mißverständnis für wesentlicher halten als die Übernahme, die doch
als Faktum gegeben ist, wie auch die ikonographische Vorzeichnung erhalten
bleibt, bei Perseus’ Monsterkampf wie auch sonst bei Lamastu-Gorgo.
Eines freilich ist sehr bezeichnend: Für die Griechen sind diese vorgezeichneten
Dämonen nicht eigentlich dämonisch; es haftet an ihnen kein mysterium tremen-
dum. Man kann Kinder damit schrecken: dem Mann liefert Perseus das Exempel,
wie man damit fertig wird, mit der Waffe in der Hand, wenn auch nicht ganz
ohne Magie und Götterbeistand. Eine ähnliche Wandlung läßt sich in einem zweiten
Fall feststellen, im Bild des Schlangenwürgers. Dies ist ein altehrwürdiges Bild
im mesopotamischen Repertorium, ein Herr der Tiere, eine schamanenhafte Ge-
stalt, die zwei große Schlangen gepackt hält25; sie ist wohl in apotropäischer
Funktion zu verstehen. Die Griechen haben daraus das erste Heraklesabenteuer
gemacht, die Heldentat, die Herakles bereits als Kleinkind in der Wiege verübte26.
22 A. de Ridder BCH 22 (1898) 452; Ward (1910) 212 nr. 643c; A. Moortgat, Vorder-
asiatische Rollsiegel (1940) nr. 781; C. Hopkins AJA 38 (1934) 351 fig. 5; id. (1961)
T. 15,3.
23 E. Kuhnert RML III 2032; Goldman (1961) 21 f.
24 Amiet (1976) 26 fig. 11; die gleiche Deutung schon bei Hopkins (1961) 31.
25 Steatitgefäß von Khafajah, um 2700, Brit. Mus., 128887, Strommenger (1962) T. 38f.
Amulettscheibe aus Luristan in Genf, Goldman (1961) T. 1b.
26 Pind. Nem. 1, 43-47; Fr. 52u 7-18 Sn.; Eur. Here. 1266-68; Theokr. 24. Bilddarstel-
lungen: O. Brendel Jdl 47 (1932) 191-238; F. Brommer, Denkmälerlisten zur griechi-
 
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