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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0115
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Die orientalisierende Epoche

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siebenköpfigen Schlange. Zugleich ist auf diesen Fibeln mit dem hölzernen Pferd
auch die Präsenz der Troia-Epik nachgewiesen. Theben selbst aber lag noch zer-
stört, ersetzt durch Hypothebai, wenn denn der Schiffskatalog als Zeugnis der geo-
metrisch-früharchaischen Epoche genommen werden darf; der Kadmeia-Hügel lag
verwüstet, bis der Wiederaufbau begann, der einige mykenische Ruinen als sakrale
Relikte, als 'Haus des Kadmos’ bestehen ließ. Daß bei einem solchen Neuanfang
Seher mitwirkten, ist selbstverständlich; daß Spezialisten aus dem Osten die hei-
mischen Vogelschauer zu übertrumpfen wußten, zeigt das Vordringen der Leber-
schau und das gelegentliche Vorkommen von Bauopfem an25. So liegen die Ele-
mente bereit, sich vorzustellen, daß bei jener Neugründung ein wandernder Prak-
tiker zur Abwehr böser Mächte ein Ritual in der Art von BTt meseri vollzog,
und daß ein Sänger, dem der Gott mannigfache Wege des Gesanges eingab,
die Abwehr der in Figuren vorgestellten 'Sieben’ zum Leitfaden eines epischen
Liedes machte: eben diese Stadt Theben habe in der Vorzeit einmal einem
schrecklichen Angriff der Sieben glücklich getrotzt, mit sieben Streitern die bösen
Sieben vertrieben, auch wenn die königlichen Brüder sich im Tor gegenseitig
zu Tode brachten. Was dabei in Gestalten wie Amphiaraos und Tydeus an boden-
ständiger Tradition mit einbezogen wurde, ist hier nicht im einzelnen zu analysieren.
Eine zweite Möglichkeit steht daneben: Ein kulturübergreifendes Problem sind
die Krankheiten; Epidemien machen an Sprachbarrieren nicht Halt. Indizien deuten
auf eine Dürrekatastrophe in Griechenland gegen Ende des 8. Jh.26, Hunger und
Seuche gehen leicht zusammen - Anlaß genug, auch ungewohnte, fremde Proze-
duren zu suchen, eine Chance für wandernde Charismatiker. Ähnlich wie Asgelatas
nach Anaphe gelangte, wäre dann in Böotien eine Nachwirkung mesopotamischer
Beschwörungskunst geblieben, freilich ins nahezu Unkenntliche transformiert, in
ein heroisches Gedicht. Doch auf die Frage, warum die Thebais anscheinend
bei Etruskern, nach den Bilddarstellungen zu urteilen, populärer war als in Grie-
chenland, ergab sich die Anwort, dies liege offenbar an der besonderen Rolle,
die den Sehern und der Mantik in diesem Epos zugewiesen wird27. Vielleicht
war dem Gedicht, das uns verloren ist, mehr von solcher Herkunft anzumerken
als die kümmerlichen Reste ausweisen.
Wenn das Lied von den 'Sieben gegen Theben’ eine Erfindung der orientali-
sierenden Epoche ist, muß es sich doch recht rasch ausgebreitet haben; doch
dazu bedarf es auch in urtümlichen Zeiten nur weniger Jahre, auch die Inter-
ferenz mit den Troia-Themen kann sich sehr rasch eingespielt haben. Unsere
Ilias setzt die Erfindung der Thebais voraus, wenn auch nicht notwendigerweise
den später schriftlich vorliegenden Text; doch kann unser Iliastext durchaus bis

25 -* II. 2; II 3.
26 J. Mck. Camp, A Drought in the late Eight Century B.C., Hesperia 48 (1979) 397-411.
27 Nach E. Simon, 1. Krauskopf, Der Thebanische Sagenkreis und andere griechische Sagen
in der etruskischen Kunst (1974) 86, 299; LIMC I 711 s.v. Amphiaraos.
 
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