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Walter Burkert
wie sie von etwa 600 an in Etrurien beliebt werden, ist evident20. Zwischen-
glieder scheinen nicht bekannt; man könnte an verlorene Metallreliefs oder auch
an Stoffe denken. Statt des Bildes tritt aber noch ein Text aus Palästina in die
Lücke: im 2. Samuelbuch kommt es, im Bürgerkrieg zwischen Sauls Nachfolger und
David, zum 'Kampfspief von je 12 ausgewählten Kriegern jeder Seite. „Jeder
aber faßte seinen Gegner am Schopf und stieß ihm das Schwert in die Seite,
so daß sie alle zugleich fielen“21. Auch an den Kampf der Horatier und Curia-
tier hat man in diesem Zusammenhang erinnert22. Im griechischen Mythos kom-
men die gewaltigen Brüder Otos und Ephialtes vor, die Aloaden, die unwider-
stehlich wären, wenn sie sich nicht gegenseitig durch Zufall erschossen hätten,
als eine Hirschkuh zwischen ihnen durchsprang2^. Die mythische Phantasie malt
mit Hartnäckigkeit den realiter unwahrscheinlichsten Fall aus. Sie zielt offenbar
auf die gleichsam glatteste, autogene Vernichtung: kein Außenstehender ist be-
teiligt, der Konflikt hebt sich selber auf. Vielleicht, daß in diesem Sinn die
Etrusker dieses Bild am Platze fanden im Bereich des Todes, als Schmuck ihrer
Aschenkisten; man könnte von hier aus auch die 'apotropäische’ Funktion ver-
stehen, die das Bild in Teil Halaf gehabt haben muß, und schließlich auch die
Figürchen des Magiers nach der Regel von BTt meseri. Der Konflikt hebe sich
selber auf, dann kehrt Harmonie und Gesundheit wieder ein.
Dies muß Vermutung bleiben. Dringender ist wohl die Frage, wie eine Be-
schwörung dieser Art überhaupt auch nur das mindeste mit einem Epos ums
böotische Theben zu tun haben kann. Doch Antworten bieten sich an. Auch
Böotien hat seine orientalisierende Epoche, liegt es doch Euboia, dem Zentrum
des Ost-West-Handels, nahe genug. Böotische Fibeln gehören zu den frühesten
mythologischen Darstellungen in der griechischen Kunst, die etwa um 700 ein-
setzen24; dabei treten unter den Herakles-Themen mindestens zwei auf, die ein-
deutig orientalischer Provenienz sind, der Löwenkampf und der Kampf mit der
20 Μ. v. Oppenheim, Teil Halaf III: Die Bildwerke, hgg. v. A. Moortgat (1955) T. 35b,
A 3, 49; S. 54: „Die Absicht des Bildhauers war anscheinend, die Männer spiegelbild-
gleich zu bilden“. - I. Krauskopf, Der Thebanische Sagenkreis und andere griechische
Sagen in der etruskischen Kunst (1974).
21 AT 2. Sam. 2, 16; vgl. C. Grottanelli, Horatius, i Curiatii e II Sam. 2, 12-28, Annali
dell’ Istituto Orientale di Napoli 35 (1975) 547-54.
22 Liv. 1, 24f. G. Dumezil, Horace et les Curiaces (1942); Grottanelli -> Anm. 21.
23 Pind. Fr. 162/3, vgl. Pyth. 4, 88 m. Schol.; Diod. 5, 50f.; Apollod. 1 (53-5) 7, 4; Eust.
1687, 36. Erwähnt sind die Aloaden bereits II. 5, 385f., Od. 11, 305-20, Hes. Fr. 19.
24 R. Hampe, Frühe griechische Sagenbilder in Böotien (1936); Datierung ins 8. Jh. z.B.
bei Schefold (1964) Abb. 6a, vgl. aber K. Fittschen, Untersuchungen zum Beginn der
Sagendarstellungen bei den Griechen (1969) 213-21. Zu Parallelen aus orientalischer
Ikonographie: Burkert (1979) 80-3. lawones und Lokrer als Nachbarn, II. 13, 685 -*11, 18.
Man beachte auch, daß gerade bei den Opuntischen Lokrem der Sintflutmythos festen
Fuß gefaßt hat, Pind. 01. 9, 41-53.
Walter Burkert
wie sie von etwa 600 an in Etrurien beliebt werden, ist evident20. Zwischen-
glieder scheinen nicht bekannt; man könnte an verlorene Metallreliefs oder auch
an Stoffe denken. Statt des Bildes tritt aber noch ein Text aus Palästina in die
Lücke: im 2. Samuelbuch kommt es, im Bürgerkrieg zwischen Sauls Nachfolger und
David, zum 'Kampfspief von je 12 ausgewählten Kriegern jeder Seite. „Jeder
aber faßte seinen Gegner am Schopf und stieß ihm das Schwert in die Seite,
so daß sie alle zugleich fielen“21. Auch an den Kampf der Horatier und Curia-
tier hat man in diesem Zusammenhang erinnert22. Im griechischen Mythos kom-
men die gewaltigen Brüder Otos und Ephialtes vor, die Aloaden, die unwider-
stehlich wären, wenn sie sich nicht gegenseitig durch Zufall erschossen hätten,
als eine Hirschkuh zwischen ihnen durchsprang2^. Die mythische Phantasie malt
mit Hartnäckigkeit den realiter unwahrscheinlichsten Fall aus. Sie zielt offenbar
auf die gleichsam glatteste, autogene Vernichtung: kein Außenstehender ist be-
teiligt, der Konflikt hebt sich selber auf. Vielleicht, daß in diesem Sinn die
Etrusker dieses Bild am Platze fanden im Bereich des Todes, als Schmuck ihrer
Aschenkisten; man könnte von hier aus auch die 'apotropäische’ Funktion ver-
stehen, die das Bild in Teil Halaf gehabt haben muß, und schließlich auch die
Figürchen des Magiers nach der Regel von BTt meseri. Der Konflikt hebe sich
selber auf, dann kehrt Harmonie und Gesundheit wieder ein.
Dies muß Vermutung bleiben. Dringender ist wohl die Frage, wie eine Be-
schwörung dieser Art überhaupt auch nur das mindeste mit einem Epos ums
böotische Theben zu tun haben kann. Doch Antworten bieten sich an. Auch
Böotien hat seine orientalisierende Epoche, liegt es doch Euboia, dem Zentrum
des Ost-West-Handels, nahe genug. Böotische Fibeln gehören zu den frühesten
mythologischen Darstellungen in der griechischen Kunst, die etwa um 700 ein-
setzen24; dabei treten unter den Herakles-Themen mindestens zwei auf, die ein-
deutig orientalischer Provenienz sind, der Löwenkampf und der Kampf mit der
20 Μ. v. Oppenheim, Teil Halaf III: Die Bildwerke, hgg. v. A. Moortgat (1955) T. 35b,
A 3, 49; S. 54: „Die Absicht des Bildhauers war anscheinend, die Männer spiegelbild-
gleich zu bilden“. - I. Krauskopf, Der Thebanische Sagenkreis und andere griechische
Sagen in der etruskischen Kunst (1974).
21 AT 2. Sam. 2, 16; vgl. C. Grottanelli, Horatius, i Curiatii e II Sam. 2, 12-28, Annali
dell’ Istituto Orientale di Napoli 35 (1975) 547-54.
22 Liv. 1, 24f. G. Dumezil, Horace et les Curiaces (1942); Grottanelli -> Anm. 21.
23 Pind. Fr. 162/3, vgl. Pyth. 4, 88 m. Schol.; Diod. 5, 50f.; Apollod. 1 (53-5) 7, 4; Eust.
1687, 36. Erwähnt sind die Aloaden bereits II. 5, 385f., Od. 11, 305-20, Hes. Fr. 19.
24 R. Hampe, Frühe griechische Sagenbilder in Böotien (1936); Datierung ins 8. Jh. z.B.
bei Schefold (1964) Abb. 6a, vgl. aber K. Fittschen, Untersuchungen zum Beginn der
Sagendarstellungen bei den Griechen (1969) 213-21. Zu Parallelen aus orientalischer
Ikonographie: Burkert (1979) 80-3. lawones und Lokrer als Nachbarn, II. 13, 685 -*11, 18.
Man beachte auch, daß gerade bei den Opuntischen Lokrem der Sintflutmythos festen
Fuß gefaßt hat, Pind. 01. 9, 41-53.