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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0118
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Walter Burkert

ganzer Szenen in Form von Gesprächen ist überhaupt ein besonderes Kennzeichen
der Gattung. Im Akkadischen heißt die Formel wörtlich „er setzte seinen Mund
und redet, zu ... sprach er (das Wort)“12; das 'Sprechen’ ist so drei- bis vierfach
ausgedrückt, wie in dem bekannten φωνήσας έπεα πτερόεντα προσηύδα. Auffällig
ist ferner, daß es auch in 'Gilgames’ das ausführlich eingeleitete Selbstgespräch
gibt: „Mit ihrem Herzen sich beredend sagte sie die Worte, Ja, mit sich selber
ging sie zu Rate“ - es folgt direkte Rede13. Ferner hat von Anfang an an Homers
rosenfingrige Eos die formelhafte Ankündigung des neuen Tags erinnert: „Kaum
daß ein Schimmer des Morgens graute“14 15. Daß die Erzählung von Tag zu Tag
fortschreitet, ist natürlich, doch die Stereotypie der Ausdrucksweisen für Sonnen-
untergang und -aufgang, Rast und Aufbruch ist spezifische Technik.
Unter den viele Verse umfassenden Wiederholungen fällt besonders die genaue
Entsprechung von Auftrag und Ausführung, von Mitteilung und Wiederholung
der Mitteilung auf; die babylonischen Schreiber benützen gelegentlich ein Wieder-
holungszeichen, was die Homerhandschriften sich nicht erlauben.
Als typische Szene fällt die Götterversammlung auf; sie heißt akkadisch mit
festem Begriff puhur iläni; die gleiche Bezeichnung findet sich im Ugaritischen,
eine entsprechende Szene auch im hethitischen Ullikummi-Epos. Daß sich daran
leicht die Aussendung eines Boten anschließt, ist naheliegend und doch be-
merkenswert.
Vergleiche sind auch im akkadischen Epos ein beliebter Kunstgriff12. Wichtiger
ist, daß in dem längsten und anspruchsvollsten Text, im Gilgames-Epos, auch
bereits kompliziertere Formen der Erzähltechnik erprobt werden. Eine weit zurück-
liegende, aber besonders fremdartig-fesselnde Handlung wird als direkte Rede eines
Beteiligten eingebaut: die Sintflut als Erlebnis des Utnapistim auf der 11. Tafel.
Die Doppelhandlung des Anfangs, durch die Enkidu und Gilgames zusammen-
geführt werden sollen, wird in der Weise bewältigt, daß die Erzählung zunächst
Enkidu folgt und Gilgames’ Vorbereitung auf die Begegenung als Erzählung der
Hure an Enkidu nachgetragen wird (I v 23-vi 24). So ist selbst für die Erzähl-
technik des Odysseedichters hier ein gewisses Vorbild zu finden. Auf die Ähn-
lichkeit des Anfangs von 'Gilgames’ und Odyssee, die Vorstellung des Helden,
der so viel gesehen hat, ohne Namensnennung wurde schon hingewiesen16.
Merkwürdiger noch erscheint als Folie zur Ilias ein gewisses Ethos des 'sterb-
lichen Menschen’ gerade im 'Gilgames’. Durchgehendes Thema ist hier ja die
12 päsu ippus-ma iqabbi, izakkar ana.. mit leichten Variationen, F. Sonnek, Die Einfüh-
rung der direkten Rede in den epischen Texten. ZA 46 (1940) 225-35; auch in Fabeln,
z.B. Lambert (1960) 178, Z. 7.
13 Gilgames X 1, llf.; Stella (1978) 365.
14 mimmu seri ina namäri Gilgames XI 48 = 96. Ungnad (1923) 30.
15 Einiges aus Gilgames bei Bowra (1952) 266f.
16 -III 1, 1.
 
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