Metadaten

Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0124
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
114

Walter Burkert

im einzelnen ist gegenüber dem Gilgames-Original durchaus verändert: ein anderer
Zusammenhang, eine andere Motivierung, ein ganz anderer Träger des Wunder-
mittels. Die scheinbare Veijüngung der Schlange ist eine Naturbeobachtung,
und Schlangen finden sich vorzugsweise am Wasser, in der Natur wie in der grie-
chischen Mythologie. Insofern ist Entlehnung hier nicht am Detail zu erweisen.
Im Gesamtrahmen der orientalisierenden Epoche jedoch und insbesondere der
Anregung der griechischen durch die mesopotamische Tierfabel wird diese Er-
zählung von der verpaßten Unsterblichkeit zu einem Element des gemeinsamen
ostwestlichen Kulturhorizontes.

7. Zusammenfassung: Bild, Magie und Literatur
Im Zusammenhang militärischer und wirtschaftlicher Expansion ist, vom Nahen
Osten ausgehend, spätestens im 8. Jh. über den ganzen Mittelmeerraum hin ein
Kulturkontinuum entstanden, das insbesondere auch Gruppen von Griechen in
intensivem Austausch mit den östlichen Hochkulturen verbindet; den Vorrang
hat zunächst der Orient’, doch entwickelt sich in Übernahme und Umgestaltung
die eigentümlich griechische Hochkultur, die alsbald die mediterrane Führungs-
rolle übernimmt.
Die ostwestlichen Beziehungen dieser Epoche sind intensiver als die 'ägäische
Koine’ der Bronzezeit es war: es gibt die militärischen Vorstöße vom Zweistrom-
land bis Kilikien und Cypem, es gibt die Niederlassungen der Phöniker im Westen,
der Griechen in Syrien und dann auch im Westen; es gibt die massiven Im-
porte von Metallarbeiten, aber auch handwerklichen Techniken bis ins eigentliche
Griechenland. Mit Bronzereliefs, Stoffen, Siegeln und anderen Produkten gelangte
zu den Griechen eine orientalische Bilderwelt, die eifrig aufgenommen und ver-
arbeitet wurde. Ebenso wie andere Handwerker sind aller Wahrscheinlichkeit nach
auch wandernde Seher und Reinigungspriester bis in griechische Städte gekom-
men; die Leberschau, Bauopfer, Verfahren der kathartischen Heilungsmagie tra-
gen die Spuren davon. Darüber hinaus ging der direkte Impuls der Schriftkultur,
wie das Alphabet, die Schreibtafel, die Buchbeschreibung anzeigen; dies bestäti-
gen auch einzelne Passagen der erhaltenen frühgriechischen Literatur. Ähnlich
der Leberschau scheinen auch diese erst der letzten Phase der epischen Dichtung
der Griechen anzugehören; so haben denn gerade nach-bronzezeitliche Werke
wie 'Enuma elis’ und 'Erra’ ihre Spuren hinterlassen. Die 'homerische’ Epoche
ist die orientalisierende Epoche der griechischen Kultur.
Zu beachten ist dabei, wie sehr die Fäden der Beziehungen miteinander ver-
schlungen sind: Bilder, Praktiken, mythische Erzählungen sind wechselseitig ver-
bunden. Siegel, Skarabäen, Amulette können im Gebrauch austauschbar sein;
Umdeutung aber läßt aus einem Amulettbild eine rein mythische Figur entstehen,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften