Glauben und Verstehen
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Rudolf Bultmann hat mit dem programmatischen Titel Glauben und
Verstehen dem traditionellen Problem insofern eine neue Wendung
gegeben, als er dessen Überkomplexität auf elementare Zusammen-
hänge reduzieren zu können beanspruchte. Wie er denn überhaupt der
Auffassung war, daß - mit der Einleitung zum Jesus-Buch formuliert -
es sich bei den Sachverhalten, mit denen es die Theologie zu tun hat,
„nicht um besonders komplizierte und schwierige Dinge handelt, son-
dern um höchst einfache“. Die Schwierigkeiten, die auch „das Begrei-
fen einfacher Dinge“ durchaus bereiten kann, liegen jedenfalls nicht
„im Wesen der Dinge begründet..., sondern darin, daß wir das ein-
fache Sehen verlernt haben“. Bultmann versteht demgemäß seine Auf-
gabe dahin, sowohl für sich selber, wie für seine „Leser die richtige Seh-
weise zu gewinnen“4. Die Lösung dieser Aufgabe ist für ihn das
Geschäft der systematischen Theologie. Inmitten seiner exegetischen
Arbeit hat er sich ihm stets verpflichtet gefühlt. Daß der gelehrte Histo-
riker zugleich - oder sogar eigentlich - ein Systematiker von Rang sei,
ist ihm denn auch immer wieder - einmal lobend, ein andermal
tadelnd - bestätigt worden! Schon sein Jesus-Buch wurde von Erich
Foerster 1928 deshalb gerügt, weil es „eben doch nicht das Buch eines
Neutestamentlers, sondern eines Systematikers“ sei5.
Zwanzig Jahre später hat Karl Barth im Zusammenhänge seiner
Auseinandersetzung mit Bultmann ebenso respektvoll wie hintergrün-
dig konstatiert: „Bultmann ist Exeget. Aber ich denke nicht, daß man
exegetisch mit ihm diskutieren kann, weil er zugleich ein Systematiker
von solchem Format ist, daß es wohl kaum einen Text geben dürfte, in
dessen Behandlung nicht sofort gewisse Axiome seines Denkens so
beherrschend sichtbar werden, daß an der Frage ihrer Gültigkeit
schlechterdings Alles sich entscheidet“6.
Bultmann seinerseits hat sich durch die Entdeckung des Systemati-
kers im Exegeten keineswegs desavouiert gefühlt. Der systematische
Charakter exegetischer Arbeit wurde von ihm vielmehr grundsätzlich
bejaht. Schon dem entsprechenden Vorwurf Erich Foersters war er mit
dem Hinweis begegnet, „daß nie ein Neutestamentler geschrieben hat,
der nicht von bestimmten systematischen Voraussetzungen ausgeht“7.
4 R. Bultmann, Jesus, Siebenstern-Taschenbuch Nr. 17, (1926) 1964, 14f.
5 E. Foerster, Rudolf Bultmanns Jesusbuch, ZThK NF 9, 1928, 28-50, 29.
6 K. Barth, KD III/2, (1948) 41979, 534.
7 R. Bultmann, Brief an Erich Foerster [1928], hg. von W. Schmithals (Ein Brief Rudolf
Bultmanns an Erich Foerster), in: Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B.
Jaspert, 1984, 70-80, 71.
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Rudolf Bultmann hat mit dem programmatischen Titel Glauben und
Verstehen dem traditionellen Problem insofern eine neue Wendung
gegeben, als er dessen Überkomplexität auf elementare Zusammen-
hänge reduzieren zu können beanspruchte. Wie er denn überhaupt der
Auffassung war, daß - mit der Einleitung zum Jesus-Buch formuliert -
es sich bei den Sachverhalten, mit denen es die Theologie zu tun hat,
„nicht um besonders komplizierte und schwierige Dinge handelt, son-
dern um höchst einfache“. Die Schwierigkeiten, die auch „das Begrei-
fen einfacher Dinge“ durchaus bereiten kann, liegen jedenfalls nicht
„im Wesen der Dinge begründet..., sondern darin, daß wir das ein-
fache Sehen verlernt haben“. Bultmann versteht demgemäß seine Auf-
gabe dahin, sowohl für sich selber, wie für seine „Leser die richtige Seh-
weise zu gewinnen“4. Die Lösung dieser Aufgabe ist für ihn das
Geschäft der systematischen Theologie. Inmitten seiner exegetischen
Arbeit hat er sich ihm stets verpflichtet gefühlt. Daß der gelehrte Histo-
riker zugleich - oder sogar eigentlich - ein Systematiker von Rang sei,
ist ihm denn auch immer wieder - einmal lobend, ein andermal
tadelnd - bestätigt worden! Schon sein Jesus-Buch wurde von Erich
Foerster 1928 deshalb gerügt, weil es „eben doch nicht das Buch eines
Neutestamentlers, sondern eines Systematikers“ sei5.
Zwanzig Jahre später hat Karl Barth im Zusammenhänge seiner
Auseinandersetzung mit Bultmann ebenso respektvoll wie hintergrün-
dig konstatiert: „Bultmann ist Exeget. Aber ich denke nicht, daß man
exegetisch mit ihm diskutieren kann, weil er zugleich ein Systematiker
von solchem Format ist, daß es wohl kaum einen Text geben dürfte, in
dessen Behandlung nicht sofort gewisse Axiome seines Denkens so
beherrschend sichtbar werden, daß an der Frage ihrer Gültigkeit
schlechterdings Alles sich entscheidet“6.
Bultmann seinerseits hat sich durch die Entdeckung des Systemati-
kers im Exegeten keineswegs desavouiert gefühlt. Der systematische
Charakter exegetischer Arbeit wurde von ihm vielmehr grundsätzlich
bejaht. Schon dem entsprechenden Vorwurf Erich Foersters war er mit
dem Hinweis begegnet, „daß nie ein Neutestamentler geschrieben hat,
der nicht von bestimmten systematischen Voraussetzungen ausgeht“7.
4 R. Bultmann, Jesus, Siebenstern-Taschenbuch Nr. 17, (1926) 1964, 14f.
5 E. Foerster, Rudolf Bultmanns Jesusbuch, ZThK NF 9, 1928, 28-50, 29.
6 K. Barth, KD III/2, (1948) 41979, 534.
7 R. Bultmann, Brief an Erich Foerster [1928], hg. von W. Schmithals (Ein Brief Rudolf
Bultmanns an Erich Foerster), in: Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B.
Jaspert, 1984, 70-80, 71.