Glauben und Verstehen
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macher-Kritik sogar beachtlich differenziert75. Aber in der Hauptsache
weiß er sich von Schleiermachers Bestimmung der Theologie deshalb
geschieden, weil nach dieser Bestimmung „die Positivität der Theolo-
gie als Wissenschaft gar nicht durch den Gegenstand der Wissenschaft,
sondern durch ihren Zweck konstituiert“ ist76.
Bultmanns Rede von der Theologie als einer „positiven Wissen-
schaft“, die „eigentlich und immer historische Theologie“ ist, ist gegen-
über den gleichlautenden Schleiermacherschen Bestimmungen von
Grund auf anders gebaut. Das zeigt sich, wenn wir einen anderen Text
beiziehen, der für das Verständnis dessen, was Bultmann mit seinen
Begriffsbestimmungen intendiert, überaus aufschlußreich ist.
In Martin Heideggers 1927 in Tübingen und 1928 in Marburg gehal-
tenem, aber erst 1969 in Frankreich und 1970 in Deutschland gedruck-
tem Vortrag Phänomenologie und Theologie finden sich bis in den Wort-
laut hinein dieselben Bestimmungen wie in Bultmanns Vorlesung. Da
sich die verschiedenen Fassungen, die Bultmann der Vorlesung vor
und nach dem Vortrag Heideggers gegeben hat, voneinander unter-
scheiden lassen, kann man den aufschlußreichen Tatbestand konstatie-
ren, daß einige der hier und dort identischen Auskünfte bereits vor Hei-
deggers Vortrag von Bultmann formuliert worden sind, andere erst
danach und wohl aufgrund dieses Vortrages77. Der Vorgang bezeugt die
Fruchtbarkeit des Dialogs, der die gemeinsamen Marburger Jahre
75 AaO. 24: Vor allem „Schleiermachers Analyse des schlechthinnigen Abhängigkeits-
gefühls ist nicht einfach falsch“. Vgl. außerdem aaO. 21.74.78. W.Schmithals
(Die Theologie Rudolf Bultmanns. Eine Einführung, 1966, 8f.) weiß sogar - offen-
sichtlich aufgrund mündlicher Äußerungen Bultmanns - von dem von Bultmann
„immer geachteten, ja, heimlich geliebten Friedrich Schleiermacher“ zu berichten.
Für die Frühzeit Bultmanns hat dessen Verhältnis zu Schleiermacher M. Evang
musterhaft dargestellt: Rudolf Bultmanns Berufung auf Friedrich Schleiermacher
vor und um 1920, in: Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B. Jaspert,
1984, 3-24.
76 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 5.
77 Aus dem Briefwechsel Bultmann-Heidegger läßt sich rekonstruieren, daß Heideg-
ger seinen Vortrag zuerst (1926 oder 1927) im Marburger Professoren-„Kränzchen“
und erst dann öffentlich in Tübingen und Marburg gehalten hat. Offensichtlich war
ursprünglich geplant, den Vortrag zusammen mit Bultmanns Aufsatz über den
Begriff der Offenbarung im Neuen Testament zu veröffentlichen. Heidegger hat dann
aber seine Publikationsabsicht bis 1969 zurückgestellt. Der alte Bultmann hat in den
Monaten Oktober/Dezember 1970 auf den nun endlich gedruckt vorliegenden Vor-
trag noch einmal mit einem längeren Briefentwurf zu reagieren versucht, der aller-
dings unvollendet abbricht.
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macher-Kritik sogar beachtlich differenziert75. Aber in der Hauptsache
weiß er sich von Schleiermachers Bestimmung der Theologie deshalb
geschieden, weil nach dieser Bestimmung „die Positivität der Theolo-
gie als Wissenschaft gar nicht durch den Gegenstand der Wissenschaft,
sondern durch ihren Zweck konstituiert“ ist76.
Bultmanns Rede von der Theologie als einer „positiven Wissen-
schaft“, die „eigentlich und immer historische Theologie“ ist, ist gegen-
über den gleichlautenden Schleiermacherschen Bestimmungen von
Grund auf anders gebaut. Das zeigt sich, wenn wir einen anderen Text
beiziehen, der für das Verständnis dessen, was Bultmann mit seinen
Begriffsbestimmungen intendiert, überaus aufschlußreich ist.
In Martin Heideggers 1927 in Tübingen und 1928 in Marburg gehal-
tenem, aber erst 1969 in Frankreich und 1970 in Deutschland gedruck-
tem Vortrag Phänomenologie und Theologie finden sich bis in den Wort-
laut hinein dieselben Bestimmungen wie in Bultmanns Vorlesung. Da
sich die verschiedenen Fassungen, die Bultmann der Vorlesung vor
und nach dem Vortrag Heideggers gegeben hat, voneinander unter-
scheiden lassen, kann man den aufschlußreichen Tatbestand konstatie-
ren, daß einige der hier und dort identischen Auskünfte bereits vor Hei-
deggers Vortrag von Bultmann formuliert worden sind, andere erst
danach und wohl aufgrund dieses Vortrages77. Der Vorgang bezeugt die
Fruchtbarkeit des Dialogs, der die gemeinsamen Marburger Jahre
75 AaO. 24: Vor allem „Schleiermachers Analyse des schlechthinnigen Abhängigkeits-
gefühls ist nicht einfach falsch“. Vgl. außerdem aaO. 21.74.78. W.Schmithals
(Die Theologie Rudolf Bultmanns. Eine Einführung, 1966, 8f.) weiß sogar - offen-
sichtlich aufgrund mündlicher Äußerungen Bultmanns - von dem von Bultmann
„immer geachteten, ja, heimlich geliebten Friedrich Schleiermacher“ zu berichten.
Für die Frühzeit Bultmanns hat dessen Verhältnis zu Schleiermacher M. Evang
musterhaft dargestellt: Rudolf Bultmanns Berufung auf Friedrich Schleiermacher
vor und um 1920, in: Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B. Jaspert,
1984, 3-24.
76 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 5.
77 Aus dem Briefwechsel Bultmann-Heidegger läßt sich rekonstruieren, daß Heideg-
ger seinen Vortrag zuerst (1926 oder 1927) im Marburger Professoren-„Kränzchen“
und erst dann öffentlich in Tübingen und Marburg gehalten hat. Offensichtlich war
ursprünglich geplant, den Vortrag zusammen mit Bultmanns Aufsatz über den
Begriff der Offenbarung im Neuen Testament zu veröffentlichen. Heidegger hat dann
aber seine Publikationsabsicht bis 1969 zurückgestellt. Der alte Bultmann hat in den
Monaten Oktober/Dezember 1970 auf den nun endlich gedruckt vorliegenden Vor-
trag noch einmal mit einem längeren Briefentwurf zu reagieren versucht, der aller-
dings unvollendet abbricht.