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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0044
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Eberhard Jüngel

Christen ... Und als solche die Existenz konstituierende Haltung
beherrscht die tuotu; das Leben schlechthin... Jetzt erst wird 'Glaube’
zur schlechthinigen Bezeichnung der Religion, und die 'Glaubenden’
oder 'Gläubigen’ sind die Christen“99. Vorausgesetzt ist dabei immer,
daß es im Glauben an Christus um die Begegnung mit Gott selbst
geht100.
Auf dem Hintergrund des skizzierten für das Urchristentum insge-
samt charakteristischen Glaubensbegriffs hat Bultmann das spezi-
fische Glaubensverständnis der verschiedenen neutestamentlichen
Überlieferungsschichten und insbesondere das des Paulus und des
Johannes analysiert. Ich gehe auf seine Analysen (vor allem in seiner
Theologie des Neuen Testaments') insoweit ein, als sie für das Verhältnis
von Glauben und Verstehen von Bedeutung sind. Dem neutestament-
lichen Sprachgebrauch entsprechend stellt sich dieses Verhältnis
terminologisch als Relation des Glaubens zum Erkennen und zum Wis-
sen dar. Es ist folglich zu klären, warum Bultmann bei seinen exegeti-
schen Darlegungen zwar dieser Terminologie weitgehend folgt, aber
dennoch den Begriff des Verstehens systematisch bevorzugt.
Bultmann hat schon bei seiner Analyse des Kerygmas der hellenisti-
schen Gemeinde vor und neben Paulus dargetan, in welch hohem
Maße der christliche Glaube sich selber als ein Erkennen verstand. Dies
ist insofern der Fall, als die Heiden im Anschluß an alttestamentliche
Überlieferung (Jer 10,25; Ps 79,6) als solche, „die Gott nicht kennen“
(ra p,f| ciöora töv üe6v - 1 Thess 4,5), charakterisiert werden, mithin die
Heidenchristen als „solche, die einst Gott nicht kannten,... nun aber
Gott erkannt haben“ (tote p.sv odx eIöote«; üeov ..., vdv öe yvövtec; üeöv
- Gal 4,8f.), angeredet werden. „Den christlichen Glauben annehmen
heißt deshalb: 'Gott’ oder 'die Wahrheit erkennen’“101. Bultmann legt
bei seiner Analyse besonderen Wert darauf, daß nicht nur die Sätze des
christlichen Glaubens beanspruchen, wahr zu sein, sondern daß der
Glaube sich als Erkenntnis der Wahrheit schlechthin versteht: „Christ
werden heißt eie; ETuyvwcnv aArjösiac; eäüeiv (1. Tim 2,4) oder Aaßeiv
rf|v ETtiyvwaiv äAT|ÜEfa<; (Hbr 10,26) oder etuyivgxjxeiv rf|v

99 AaO. 217,26-36.
100 AaO. 218,5-9: „in Christus begegnet Gott selbst; aber: Gott begegnet nur in Chri-
stus ... Christus ist Gottes eschatologische Tat, neben welcher andere den Glauben
fordernde oder gründende Taten keinen Platz mehr haben“.
1111 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hg. von O. Merk, s1980, 71.
 
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