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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0046
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Eberhard Jüngel

Ursprung der christlichen Theologie sehen. Der Glaube ist auf theolo-
gische Urteilskraft angewiesen. Bultmann nennt denn auch die Argu-
mentation des Apostels im Galaterbrief und im Römerbrief „theolo-
gische Ausführungen“, die deutlich machen, daß „die mit dem Glau-
ben gegebene Erkenntnis... der Entwicklung nicht nur fähig, sondern
auch bedürftig ist“109. Wie sehr sie es war, zeigt vielleicht am ein-
drücklichsten die Tatsache, daß der Apostel nicht nur seine Gemein-
den, sondern (nach Gal 2,11-21) sogar einen anderen Apostel dazu
anhalten mußte, „daß der Glaubende jeweils das rechte Urteil über das
gewinnt, was von ihm gefordert ist“110. Vielleicht könnte man diese
Konfrontation des Apostels Paulus mit dem Apostel Petrus um ein der
Wahrheit des Evangeliums entsprechendes Verhalten (öpüoTioöeiv
Tupöc; rijv äAf|ÜEiav tod EÜayyEXiou - Gal 2,14) sogar die historische
Geburtsstunde der christlichen Theologie nennen.
Nur in den Pastoralbriefen werden Tendenzen erkennbar, die darauf
hinauslaufen, daß das christliche „Erkenntnis-Streben überhaupt abge-
lehnt“ wird. Doch Bultmann bemerkt zu Recht sachkritisch, daß die
hier erkennbare „Methode“ der Argumentationsverweigerung „höch-
stens in begrenzten Kreisen Erfolg haben“ konnte111. Für ihn ist aus-
schlaggebend, daß nach Paulus (Gal 4,9 und IKor 13,12) das mensch-
liche yivooxEiv nicht etwa ausgeschlossen werden soll, sondern
„in einem yvwcnffjvai imö üeod fundiert ist ...“112 Als solches ist das
dem Glauben implizite Wissen bei aller Intentionalität des Glaubens-
aktes auf seinen Gegenstand, die dem Glauben geradezu „dogmati-
schen“ Charakter verleiht, nicht abtrennbar von dem existentiellen
Wissen des Glaubenden um sein Bestimmtsein durch diesen Gegen-

110 Ebd.: „So wünscht er seinen Lesern, daß ihre Urteilsfähigkeit wachse und an Sicher-
heit gewinne (Rm 12,2; Phil l,9f.; Phm 6;...). Ebenso wünscht Kol l,9f.: ivanÄripcD-
üfjTe rf|v Exiyvcoaiv rov ücZripaTO«; auroü ev Traar; ao(pia xai ovveoei xveupanxfi,
xEpixarfjoai roö xvpiou ... (vgl. 3,10). Ähnlich lautet die Fürbitte 2. Pt 1,3 und
die entsprechende Mahnung 1,5; 3,18; und Barn wünscht: 6 öe üeö<; ... öup upiv
oocpiav, cwvEotv, e-nacrtf)p.'r]v, yvöoiv rüv öixaiwpawv aurou (21,5), wie denn yv&oic,
bei ihm nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Erkenntnis bedeutet
(5,4; 18,1; 19,1 vgl. 16,9: oocpia Sixaicopararv). Wie Paulus sich freut, daß solche
yvöou; in der Gemeinde lebendig ist (1. Kr 1,5; 2. Kr 8,7; Rm 15,14), so rühmt
I. Klem die teAei« xai aarpaApc; yvwou; der korinthischen Gemeinde (1,2), und Did
II, 2 mahnt, wandernde Lehrer aufzunehmen, wenn ihr Wirken dazu führt xpooÜEi-
var öixaioavvr|v xai yvwaiv xvpiov“.
111 AaO. 485f.
112 AaO. 319; Kursivsetzung von mir.
 
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