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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0053
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Glauben und Verstehen

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sogenannten liberalen Theologie gemacht hatte, kann er gegen die
orthodoxe Theologie nicht erheben: sie hat - zumindest auf den ersten
Blick - ihren Gegenstand nicht verloren145, sie handelt nicht statt von
Gott vom Menschen bzw. statt von der fides quae creditur von der fides
qua creditur. Sie ist durchaus an der Wahrheit dessen interessiert,
woran der Glaubende glaubt. Bultmann würdigt denn auch, daß hier
„der Glaube ... in seiner Intentionalität verstanden“ ist „als Glaube an,
nämlich an Gottes Heilstat“146. Insofern als Gegenstand des Glaubens
Gottes Heilstat in Betracht kommt, auf die der Glaube vertraut, scheint
zunächst auch das Mißverständnis ausgeschlossen, als ob die fides qua
creditur hier so etwas wie die Zustimmung zu allgemeinen Wahrheiten
meine. Bultmann erkennt der Orthodoxie denn auch zunächst den
doppelten Vorzug zu, daß in ihr einerseits die „Subjektivität des Glau-
bens ... abgewehrt werden“ soll „wie andrerseits das Mißverständnis,
daß der Glaube eine Zustimmung zu allgemeinen Wahrheiten wäre.
Der Glaube ist [hier] wirklich das Erfassen der Gnade“147.
Einwände erhebt Bultmann allerdings gegen die Näherbestimmung
der fides qua creditur als notitia, assensus und fiducia - eine Näherbe-
stimmung des Glaubens, die alles zuvor Gesagte wieder in Frage stellt.
Dabei wendet er sich nicht eigentlich dagegen, daß zum als Vertrauen
bestimmten Glauben (fiducia) auch eine bestimmte Erkenntnis (noti-
tia) und deren willentliche Bejahung (assensus) gehört. Bultmann wird
vielmehr selber den Glauben als einen Akt des Verstehens und der
Entscheidung interpretieren. Seine Kritik findet jedoch die Art der
Zuordnung dieser drei dem Glauben zugeschriebenen Momente. „Die
Lehre von der dreifachen Art des Glaubens ist das Eingeständnis, daß
die fiducia, der eigentliche Glaube, nicht das eigentliche Verhältnis zu
seinem Gegenstand ist, denn sonst wäre es auch die primäre Zugangs-
art zu ihm“148. Bultmann versteht die altprotestantische Bestimmung
der fides qua creditur als notitia, assensus und fiducia also dahin, daß
die Orthodoxie vorgängig zum Vertrauen auf Gottes Heilshandeln die
Anerkennung bestimmter Heilstatsachen fordere, so „daß die Heilstat-
sachen zuerst anerkannt werden müssen, bevor sie Grund des Glau-
145 Erst aufgrund kritischer Analyse wird erkennbar, inwiefern für beide, für Liberalis-
mus und Orthodoxie gilt: „beide verlieren ... ihren Gegenstand überhaupt“. - AaO.
34.
146 AaO. 101.
147 Ebd.
148 AaO. 33.
 
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