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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0059
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Glauben und Verstehen

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schem und praktischem Wissen174 gegenüber: das spekulative Selbst-
verständnis der Theologie im Sinne einer Erkenntnis Gottes, die sich
als Schauen Gottes vollendet, und das praktische Selbstverständnis der
Theologie im Sinne einer dem menschlichen Handeln (nämlich dem
sich als Liebe zu Gott und zum Nächsten vollziehenden Handeln) die-
nenden Theologie. Und gegenüber vermittelnden Versuchen wie z.B.
dem des Thomas von Aquin, der beide Aspekte - bei starker Betonung
des Primats des spekulativen Charakters der Theologie - vereinen zu
können meint173, scheint Bultmann in den Spuren Luthers einem Ent-
174 VgL Aristoteles, Nikomachische Ethik 1095b Uff. und 1139a 35ff. mit Topik 145a
15ff. und Metaphysik 993b 20ff.; 1025b 25 f.; 1026a 18-23.
175 Thomas von Aquin, S. th. I, q. 1 a.4 crp. In einem gewissen Gegensatz zur philosophi-
schen Unterscheidung der Wissenschaften in theoretische und praktische macht
Thomas geltend, daß die heilige Lehre sich dieser Alternative nicht fügt. Das unter-
scheidet die christliche Theologie von der philosophischen Theologie aristotelischer
Provenienz. In ihr ist der Gott ausschließlich um seiner selbst willen da als das sich
selber denkende Denken. Und daran partizipiert der menschliche ßioc; hccopriTixoc;.
Zwar ist auch der christliche Gott, von dem die sacra doctrina handelt, der sich selbst
erkennende Gott. Aber, so betont Thomas, Gott erkennt mit demselben Wissen,
mit dem er sich selbst erkennt, auch das, was er schafft: „.. .Deus eadem scientia se
cognoscit, et ea quae facit“ (ebd.). Gottes Wissen geht also in Handeln über. Und in
ähnlicher Weise hat auch die sacra doctrina sowohl spekulativen als auch prakti-
schen Charakter. Ihr theoretisches Wissen ist auf die Existenz des Menschen bezo-
gen, der von Gott her kommt und sich auf Gott als sein Ziel zubewegt. Doch ist die
Theologie „mehr spekulativ als praktisch“, weil sie in erster Linie de rebus divinis
handelt und erst in zweiter Linie de actibus humanis. Diese behandelt sie nämlich
nur insofern, als der Mensch durch sie (also durch seine Handlungen) zur vollkom-
menen Erkenntnis Gottes hingeordnet wird, in der die ewige Seligkeit besteht:
„Magis tarnen est speculativa quam practica: quia principalius agit de rebus divinis
quam de actibus humanis; de quibus agit secundum quod per eos ordinatur homo
ad perfectam Dei cognitionem, in qua aetema beatitudo consistit“ (ebd.). Als speku-
lative, zu Gott selbst emporsteigende Erkenntnis ist diese Wissenschaft zugleich
Weisheit (S. th. I, q. 1 a. 6 crp.). Sie ist es, insofern der sich offenbarende Gott mit sei-
nem Geist auch die Gabe der Weisheit gewährt. Damit ist nun aber auch bereits
darüber entschieden, was nach Thomas der eigentliche Gegenstand der sacra doc-
trina ist. Zwar handelt sie auch von den menschlichen Handlungen etc. Aber sie
erörtert diese und alles übrige nur, sofern sie eine Beziehung zu Gott als ihrem
Ursprung und Ziel haben. Und so gilt, daß in der heiligen Lehre alles unter Bezug
auf Gott verhandelt wird. Also ist Gott der eigentliche Gegenstand der Theologie:
„Omnia autem pertractantur in sacra doctrina sub ratione Dei vel quia sunt ipse
Deus; vel quia habent ordinem ad Deum, ut ad principium et finem. Unde sequitur
quod Deus vere sit subiectum huius scientiae“ (S. th. I, q. 1 a. 7 crp.). - Will man
würdigen oder kritisieren, was Thomas mit seiner Betonung des theoretischen Sta-
tus der theologischen Erkenntnis intendierte, so wird man sich die ursprüngliche
 
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