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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0066
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Eberhard Jüngel

immer kommender“, der „nur ...im Kommen da ist“, verstanden wird199.
Noch bestimmter wird die Nähe des neuen Äons als die Heilstat Gottes
zur Sprache gebracht, die im Dasein Jesu von Nazareth geschichtliches
Ereignis ist und sich im Kerygma von Jesus als dem Christus dem auf
es hörenden Menschen als Befreiung zum Seinkönnen zuspricht.
Denn das christliche Kerygma besagt, „daß Jesus Christus in die Welt
gekommen ist und aus einer Geschichte der Sünde eine Geschichte der
Gnade gemacht hat“200. Ist der Glaube die Annahme dieses Kerygmas,
dann freilich nicht im Sinne der ,,unkritische[n] Hinnahme einer histo-
rischen Mitteilung“, sondern im Sinne eines Verstehens, das den Ver-
stehenden aufgrund der ihm zugesprochenen Wahrheit seiner selbst
gewiß macht - nämlich als gerechtfertigten Sünder gewiß macht. Das
dem Glauben immanente Verstehen ist folglich immer ein den Verste-
henden gewiß machender Akt. Er ist es deshalb, weil der Mensch im
Glauben sich gerade nicht auf sich selbst und sein Tun, sondern auf das
Wort verläßt, das „Vergebung der Sünde verkündigt“, so daß „ich... als
Gerechtfertigter in mein Jetzt komme“201.
6. Die Passivität des Glaubens
Der Praxisbezug der Theologie hat sich im Zusammenhang der
Argumentation Bultmanns immer deutlicher als die Ermöglichung
desjenigen menschlichen Selbstverständnisses herausgestellt, in dem
sich der Mensch als Gerechtfertigter und d.h. als „Gegenstand des gött-
lichen Tuns“ erkennt202. Als Gegenstand des göttlichen Tuns ist der
Mensch selber passiv.
Bultmann hat dem Glauben konsequenterweise eine bestimmte Art
der Passivität zugeschrieben. Er hat jedoch Wert darauf gelegt, die Pas-
sivität des Glaubens gegen zwei mögliche Mißverständnisse abzugren-
zen, denen sie nach seinem Urteil in der christlichen Mystik ausgesetzt
ist.
Das eine Mißverständnis, gegen das er sich wendet, besteht in der
Meinung, das menschliche Ich könne seine Passivität selber metho-
disch herbeiführen. Die Mystik „geht diesen Weg methodisch, indem
199 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 136; vgl. 96. 139.
200 AaO. 130.
201 AaO. 130.
202 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 129, Anm. 67.
 
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