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Eberhard Jüngel
Soll aber der Glaube selber nicht als fides otiosa, sondern als Tat ver-
standen werden, dann drängt sich die Frage auf, wie er noch als Alter-
native zu einem Sich-Verstehen aus den eigenen Werken und der durch
sie qualifizierten Vergangenheit gelten kann. Was unterscheidet die Tat
vom Werk?
Bultmann arbeitet tatsächlich mit dieser Unterscheidung. Sie
besagt, daß das Werk das Objekt des Tuns und als solches „ein Vorhan-
denes“ ist. Hingegen ist die „Tat... nur im Tun da“ und als solche „nie
'vorhanden’“212. Das Werk ist also kategorial von der Tat unterschieden
analog der aristotelischen Unterscheidung von rcpa^u; und noiriaic;.
Während die Tat der Vollzug des Menschseins ist, ist das Werk ein Pro-
dukt dieses Vollzuges, das seinen ontologischen Ort nicht mehr inner-
halb des Existenzbezuges hat. Es ist wie bei der aristotelischen 7toir|oi<;
ein außerhalb des hervorbringenden Aktes liegendes teäoc;. Von daher
wird vollends verständlich, warum ein sich aus seinen Werken verste-
hender Mensch sich selbst verfehlt. Er vollzieht mit solchem Selbstver-
ständnis sozusagen eine peraßaaic; eü; aAAo yevot;. Denn er versteht
sich statt aus dem lebendigen Existenzvollzug und seinen Möglichkei-
ten aus der Wirklichkeit eines Vorhandenen, auf das er sich damit auch
schon fixiert. Sein Dasein ist fixiertes Dasein und insofern unfrei: es ist
oap£.
In der Tat des Glaubens wird diese Fixierung gelöst zugunsten der
konkreten Möglichkeiten, die das Kerygma dem Menschen eröffnet.
Indem der Glaubende passiv empfängt, was ihm dieses Wort zuspricht,
ist er im Sinne Bultmanns bereits tätig. Denn die Passivität des Emp-
fangens ist identisch mit der Tat der Entscheidung, das eigene Sein so
zu verstehen, wie es das Kerygma zu verstehen gibt. Die Lösung von
der Fixiertheit auf die eigenen Werke ist also Befreiung zu einem dem
eigenen Seinkönnen entsprechenden Tun. Dabei versteht es sich, daß
der Glaube nun nicht etwa selber an die Stelle der Werke treten darf.
Dann wäre der Mensch ja wiederum fixiert, wenn nun auch auf den
eigenen Glauben, der eben dadurch seinerseits „statt in der Tat im Vor-
handenen“ lokalisiert wird213. Ein solcher auf sich selbst fixierter
Glaube, den Bultmann im Neuprotestantismus diagnostizieren zu
212 AaO. 134. Daß die das Selbstbewußtsein des Menschen begründende Tat nicht als
Vorhandenes gedacht werden darf, ist eine Grundeinsicht der Philosophie Fichtes,
mit dem Bultmann hier durchaus übereinstimmt. Fichte versuchte dies mit dem
Begriff „Tathandlung“ - im Unterschied zu „Tatsache“ - zum Ausdruck zu bringen.
VgL: J. G. Fichte: (Rezension) Aenesidemus, Gesamtausgabe 1/2, 1965, 31-67, 46.
213 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 157.
Eberhard Jüngel
Soll aber der Glaube selber nicht als fides otiosa, sondern als Tat ver-
standen werden, dann drängt sich die Frage auf, wie er noch als Alter-
native zu einem Sich-Verstehen aus den eigenen Werken und der durch
sie qualifizierten Vergangenheit gelten kann. Was unterscheidet die Tat
vom Werk?
Bultmann arbeitet tatsächlich mit dieser Unterscheidung. Sie
besagt, daß das Werk das Objekt des Tuns und als solches „ein Vorhan-
denes“ ist. Hingegen ist die „Tat... nur im Tun da“ und als solche „nie
'vorhanden’“212. Das Werk ist also kategorial von der Tat unterschieden
analog der aristotelischen Unterscheidung von rcpa^u; und noiriaic;.
Während die Tat der Vollzug des Menschseins ist, ist das Werk ein Pro-
dukt dieses Vollzuges, das seinen ontologischen Ort nicht mehr inner-
halb des Existenzbezuges hat. Es ist wie bei der aristotelischen 7toir|oi<;
ein außerhalb des hervorbringenden Aktes liegendes teäoc;. Von daher
wird vollends verständlich, warum ein sich aus seinen Werken verste-
hender Mensch sich selbst verfehlt. Er vollzieht mit solchem Selbstver-
ständnis sozusagen eine peraßaaic; eü; aAAo yevot;. Denn er versteht
sich statt aus dem lebendigen Existenzvollzug und seinen Möglichkei-
ten aus der Wirklichkeit eines Vorhandenen, auf das er sich damit auch
schon fixiert. Sein Dasein ist fixiertes Dasein und insofern unfrei: es ist
oap£.
In der Tat des Glaubens wird diese Fixierung gelöst zugunsten der
konkreten Möglichkeiten, die das Kerygma dem Menschen eröffnet.
Indem der Glaubende passiv empfängt, was ihm dieses Wort zuspricht,
ist er im Sinne Bultmanns bereits tätig. Denn die Passivität des Emp-
fangens ist identisch mit der Tat der Entscheidung, das eigene Sein so
zu verstehen, wie es das Kerygma zu verstehen gibt. Die Lösung von
der Fixiertheit auf die eigenen Werke ist also Befreiung zu einem dem
eigenen Seinkönnen entsprechenden Tun. Dabei versteht es sich, daß
der Glaube nun nicht etwa selber an die Stelle der Werke treten darf.
Dann wäre der Mensch ja wiederum fixiert, wenn nun auch auf den
eigenen Glauben, der eben dadurch seinerseits „statt in der Tat im Vor-
handenen“ lokalisiert wird213. Ein solcher auf sich selbst fixierter
Glaube, den Bultmann im Neuprotestantismus diagnostizieren zu
212 AaO. 134. Daß die das Selbstbewußtsein des Menschen begründende Tat nicht als
Vorhandenes gedacht werden darf, ist eine Grundeinsicht der Philosophie Fichtes,
mit dem Bultmann hier durchaus übereinstimmt. Fichte versuchte dies mit dem
Begriff „Tathandlung“ - im Unterschied zu „Tatsache“ - zum Ausdruck zu bringen.
VgL: J. G. Fichte: (Rezension) Aenesidemus, Gesamtausgabe 1/2, 1965, 31-67, 46.
213 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 157.