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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0072
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Eberhard Jüngel

Licht des göttlichen Wissens begründet, das sich nicht zu täuschen ver-
mag, während die den anderen Wissenschaften als Erkenntnisquelle
dienende menschliche Vernunft irren kann223 .
Die altprotestantische Orthodoxie hat dem Unterschied zwischen
Erkenntnisakt und Willensakt im Anschluß an eine auf Augustin224
zurückgehende und durch Petrus Lombardus225 zur Geltung gebrachte
Unterscheidung Rechnung zu tragen versucht, die allerdings auch der
biblischen Grundbedeutung von Glauben als Vertrauen gerecht zu
werden trachtete. Man unterschied zwischen credere Deum (glauben,
daß Gott ist), credere Deo (glauben, daß wahr ist, was Gott sagt) und
credere in Deum (Gott vertrauen). Dem entsprach die Unterscheidung
dreier Elemente im Begriff des nun ausdrücklich als „fides subjectiva“-
sie gilt als „fides proprie dicta“, während es von der fides objectiva heißt:
„quae improprie dicitur fides“!226 - verstandenen Glaubens: nämlich
der notitia, des assensus und der fiducia. Dabei wird nun aber sowohl
die notitia als auch der assensus im Intellekt lokalisiert, während die
in dem Augenblick, in dem ein Glaubensgegenstand zugleich auch als ein Wissens-
gegenstand reklamiert werden konnte - und das geschah spätestens in der natürli-
chen Theologie der Aufklärung mußten Glauben und Wissen in ein unerträgli-
ches Konkurrenzverhältnis geraten. Kam der Glaubensgegenstand zugleich auch als
Wissensgegenstand in Betracht, dann mußte der Glaubensakt als die mindere
Erkenntnisweise dem Wissensakt gegenüber als unangemessenes oder gar verkehr-
tes Bewußtsein erscheinen, das es in ein vernünftiges Bewußtsein zu verwandeln
gilt. Daß das dabei zustande kommende angeblich metaphysisch-religiöse Wissen in
Wahrheit nur Scheinwissen war, das zu entdecken und daraus die philosophischen
Konsequenzen zu ziehen, war die große Leistung Immanuel Kants. In der Vorrede
zur 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft heißt es lapidar: „Ich mußte also das
Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“. - Werke in 6 Bänden, hg.
von W. Weischedel, Bd. 2, 1956, B XXX.
223 Thomas von Aquin, S. th. I, q. 1 a. 5 crp.: „... quia aliae scientiae certitudinem habent
ex naturali lumine rationis humanae, quae potest errare: haec autem certitudinem
habet ex lumine divinae scientiae, quae decipi non potest“.
224 A. Augustinus, Tractatus in evangelium lohannis, 29,6; 35,3, CChr. SL 36, 287; 460.
Maßgeblich wurde eine Pseudo-Augustinus-Stelle: De symbolo 1, PL 40, 1190f.:
„Non dicit, Credo Deum; vel, Credo Deo, quamvis et haec saluti necessaria sint.
Aliud enim est credere illi, aliud credere illum, aliud credere in illum. Credere illi,
est credere vera esse quae loquitur: credere illum, credere quia ipse est Deus: cre-
dere in illum: diligere illum“. Letzteres hatte Augustinus (Tr. loh. 29,6, aaO.,
287, 40f.) erklärt als: „Credendo amare, credendo diligere, credendo in eum ire et
eius membris incorporari. Ipsa est ergo fides, quam de nobis exigit Deus“.
225 Petrus Lombardus, Sententiae III, dist. 23, c. 3 und 4.
226 D. Hollatz, Examen theologicum acroamaticum, P. III, sect. II, c. VII, q. 2, (1707)
Nachdruck 1971, Bd. II [2], 280.
 
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