Metadaten

Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0079
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Glauben und Verstehen

69

1. Bultmann hat die Eigentlichkeit der menschlichen Existenz mit
dem geschichtlichen Augenblick als einem Augenblick des Sein-Kön-
nens geradezu identifiziert und sie demgemäß aus dem Gegensatz zum
Vorhandenen bestimmt. Das Vorhandene wird einerseits mit der ver-
fügbaren Welt identifiziert, so daß der weltliche Zusammenhang der
Geschichte und der eigenen Lebensgeschichte negativ qualifiziert
erscheint. Daraus folgt, daß für ihn „die Frage nach der Wahrheit die
Frage ist, wie ich mich verstehe, und zwar, da das Dasein zeitlich,
geschichtlich ist, wie ich den Augenblick verstehe“244. Dem entspricht,
daß sich die Eigentlichkeit der Existenz auf ein Sein in der Entschei-
dung konzentriert: „Echtes Selbstverständnis ... meint immer: mich
als je mich... verstehen, je mich, d.h. mich in meinem Jetzt in der Ent-
scheidung“245.
Doch gegen diese Konzentration erheben sich Bedenken, zu denen
gegenläufige Äußerungen Bultmanns selber Argumente beitragen. Er
hat seinerseits nachdrücklich herausgestellt, daß zwar die Frage nach
Gott aus dem Augenblick - im Gewissen - vernommen werden kann,
daraus aber auf keinen Fall gefolgert werden darf, „daß der Anspruch
des Augenblicks der Gottes ist; daß die Stimme des Gewissens die Got-
tes ist“246. Vielmehr gilt: „Soll von Gott die Rede sein, so muß diese
Rede zu der menschlichen Möglichkeit, zum Augenblick hinzugesagt
werden“247 . Der Augenblick ist also darauf angewiesen, von einem ihm
vorgegebenen Wort qualifiziert zu werden. Das den Augenblick qualifi-
zierende Wort kommt aber, auch wenn es den Anspruch erhebt, Got-
tes Wort zu sein, aus einer zumindest auch in der Weise des Vorhan-
denseins sich ereignenden Geschichte, also aus einem Zusammen-
hang, der z.B. in Gestalt lebendiger Überlieferung den Augenblick
S. M. Ogden, Christ without Myth. A Study Based on the Theology of Rudolf Bult-
mann, Dallas 21979.
H. Ott, Geschichte und Heilsgeschichte in der Theologie R. Bultmanns, BHTh 19,
1955.
A. C. Thiselton, The Two Horizons. New Testament Hermeneutics and Philosophi-
cal Description, Grand Rapids 1980.
D. Tracy, The Analogical Imagination. Christian Theology and the Culture of Plu-
ralism, London 1981.
Darüber hinaus vgl.:
Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B. Jaspert, 1984.
244 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 45.
245 AaO. 202.
246 AaO. 61.
247 AaO. 62f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften