Glauben und Verstehen
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in dieser Hinsicht mit Karl Barth einig. Vermutlich wirkt hier bei bei-
den Marburger Tradition nach. Die Identifikation, die auch den Glau-
ben als Tat zu interpretieren nötigt, steht gleichwohl in einer beachtli-
chen Spannung zur paulinischen Anthropologie. Für Paulus ist der
Glaubende, zumindest im Blick auf Gott, ein p.f| EpyaCopEvoc; (Röm
4,5), dessen Glaube erst durch die Liebe gegenüber dem Mitmenschen
als werktätiger Glaube (-jriaru; öi’ ayaTtpc; EVEpyoupEvp - Gal 5,6) in
Betracht kommt. Bultmann hat zwar zwischen Tat und Werk unter-
schieden und damit der paulinischen Anthropologie gerecht zu werden
versucht. Doch es bleibt die Frage, ob die Person des Menschen wirk-
lich durch ihre Tat konstituiert wird und nicht vielmehr durch das
Wort254 255, das sie ins Sein gerufen hat und eben deshalb auch zu rechtfer-
tigen vermag. Wenn das Sein der Person, wie Bultmann behauptet, in
ihrem Tun besteht, so daß selbst die Passivität des Glaubens noch als
ein Sein in der Tat begriffen werden muß, dann würde die un-
menschliche Tat den Menschen zum Unmenschen machen. Das den
Menschen als Person von seinem Tun unterscheidende, weil ihn vor
allem eigenen Tätigwerden als Person anerkennende und definitiv
rechtfertigende Urteil Gottes verbietet einen solchen Syllogismus vom
unmenschlichen Tun auf eine unmenschliche Person ebenso wie den
Schluß vom menschlichen Tun auf eine deshalb menschliche Person.
Die Menschlichkeit des Menschen ist nicht in seiner Tat, sondern im
Urteil Gottes und insofern in dem den Menschen anredenden Wort
begründet. Die von Gott gerechtfertigte Person ist mehr als ein Täter
oder Untäter. Sie ist gerade in ihrer dem sie anredenden Wort entspre-
chenden Passivität der Inbegriff eines menschlichen Menschen.
5. Zum Schluß ist auf den wissenschaftstheoretischen Status der
Theologie zurückzukommen. Bultmann hat mit großer Selbstverständ-
lichkeit vorausgesetzt, daß die Theologie eine Wissenschaft sei. Hei-
deggers Frage, „ob die Theologie noch eine Wissenschaft sein kann“,
und seine Erwägung, daß die Theologie „vermutlich überhaupt nicht
eine Wissenschaft sein darf<255, lag Bultmann wahrscheinlich ebenso
fern, wie die Ausführung des Wissenschaftstheoretikers Heinrich
254 Ähnlich argumentiert G. Ebeling, Zum Verständnis von R. Bultmanns Aufsatz:
„Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?“, in: ders., Wort und Glaube, Bd. 2, Bei-
träge zur Fundamentaltheologie und zur Lehre von Gott, 1969,343-371,371: „Bult-
mann rechtfertigt das Wort von der Tat her“. Doch dieser „Zugang zum Verständnis
der Existenz ... versperrt den Zugang zur Tiefe dessen, was es um das Wort ist“.
255 M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9,
1976, 45-78, 77.
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in dieser Hinsicht mit Karl Barth einig. Vermutlich wirkt hier bei bei-
den Marburger Tradition nach. Die Identifikation, die auch den Glau-
ben als Tat zu interpretieren nötigt, steht gleichwohl in einer beachtli-
chen Spannung zur paulinischen Anthropologie. Für Paulus ist der
Glaubende, zumindest im Blick auf Gott, ein p.f| EpyaCopEvoc; (Röm
4,5), dessen Glaube erst durch die Liebe gegenüber dem Mitmenschen
als werktätiger Glaube (-jriaru; öi’ ayaTtpc; EVEpyoupEvp - Gal 5,6) in
Betracht kommt. Bultmann hat zwar zwischen Tat und Werk unter-
schieden und damit der paulinischen Anthropologie gerecht zu werden
versucht. Doch es bleibt die Frage, ob die Person des Menschen wirk-
lich durch ihre Tat konstituiert wird und nicht vielmehr durch das
Wort254 255, das sie ins Sein gerufen hat und eben deshalb auch zu rechtfer-
tigen vermag. Wenn das Sein der Person, wie Bultmann behauptet, in
ihrem Tun besteht, so daß selbst die Passivität des Glaubens noch als
ein Sein in der Tat begriffen werden muß, dann würde die un-
menschliche Tat den Menschen zum Unmenschen machen. Das den
Menschen als Person von seinem Tun unterscheidende, weil ihn vor
allem eigenen Tätigwerden als Person anerkennende und definitiv
rechtfertigende Urteil Gottes verbietet einen solchen Syllogismus vom
unmenschlichen Tun auf eine unmenschliche Person ebenso wie den
Schluß vom menschlichen Tun auf eine deshalb menschliche Person.
Die Menschlichkeit des Menschen ist nicht in seiner Tat, sondern im
Urteil Gottes und insofern in dem den Menschen anredenden Wort
begründet. Die von Gott gerechtfertigte Person ist mehr als ein Täter
oder Untäter. Sie ist gerade in ihrer dem sie anredenden Wort entspre-
chenden Passivität der Inbegriff eines menschlichen Menschen.
5. Zum Schluß ist auf den wissenschaftstheoretischen Status der
Theologie zurückzukommen. Bultmann hat mit großer Selbstverständ-
lichkeit vorausgesetzt, daß die Theologie eine Wissenschaft sei. Hei-
deggers Frage, „ob die Theologie noch eine Wissenschaft sein kann“,
und seine Erwägung, daß die Theologie „vermutlich überhaupt nicht
eine Wissenschaft sein darf<255, lag Bultmann wahrscheinlich ebenso
fern, wie die Ausführung des Wissenschaftstheoretikers Heinrich
254 Ähnlich argumentiert G. Ebeling, Zum Verständnis von R. Bultmanns Aufsatz:
„Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?“, in: ders., Wort und Glaube, Bd. 2, Bei-
träge zur Fundamentaltheologie und zur Lehre von Gott, 1969,343-371,371: „Bult-
mann rechtfertigt das Wort von der Tat her“. Doch dieser „Zugang zum Verständnis
der Existenz ... versperrt den Zugang zur Tiefe dessen, was es um das Wort ist“.
255 M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9,
1976, 45-78, 77.