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Geyer, Dietrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 2. Abhandlung): Klio in Moskau und die sowjetische Geschichte: vorgetragen am 27. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47816#0041
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Klio in Moskau

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sie in der rasch expandierenden Denkmalschutzbewegung, deren
kommerzialisierte Kehrseite, die Expansion des Kunst- und Antiquitä-
tenmarktes, hier beiseite bleiben soll. Dieses nach Öffentlichkeit drän-
gende Interesse ist denn auch von Amts wegen rasch kanalisiert wor-
den. Es wurde in eine Massenorganisation überführt, auf dem Territo-
rium der RSFSR in die „Allrussische Gesellschaft zum Schutz der
Geschichts- und Kulturdenkmäler“. 1965 gegründet, hatte diese
Gesellschaft 1972 über 8 Millionen Mitglieder, 1982 bereits über 15
Millionen. Mehr als jeder zehnte Bürgerderrussischen Sowjetrepublik
ist demnach als Mitglied dabei. Für die Unionsrepubliken dürften ähn-
liche Relationen gelten.92 Nur die „Allrussische Gesellschaft zum
Schutz der Natur“ hat noch stärkeren Zulauf.
Die Frage liegt nahe, welche Faktoren dem Sinn für Geschichtli-
ches eine so breite gesellschaftliche Verankerung gegeben haben. Die
Antwort kann nicht ohne Vorbehalte sein. Sie verweist auf Zeitstim-
mungen, die auch in der Sowjetunion sich ausgebreitet haben. Mit-
beteiligt ist sicher ein wachsender Widerwille gegen den Moloch der
modernen Industrie, gegen die fortschreitende Urbanisierung und
Naturvemichtung, die Schäden und Kosten der wissenschaftlich-tech-
nischen Revolution, gegen das Zukunftsbild der elektronisierten Welt.
Solche Haltungen sind ein Phänomen der Bildungsschicht, des in-
tellektuellen Teils der sowjetischen Intelligencija. Sie stehen quer zu
dem, was nach offizieller Ansicht Geltung haben sollte: Fortschrittssi-
cherheit, nicht räsonnierende Skepsis, Enthusiasmus für das Neue,
nicht wehmütige, mitunter auch modische Nostalgie. Hier werden seit
langem sowjetische Varianten alternativer, auch „grüner“ Stimmungs-
und Gefühlslagen kultiviert: das Verlangen nach Werten jenseits der
etablierten Werte, die Sehnsucht nach dem unbeschädigten, unver-
brauchten Leben, nach den Wurzeln des Lebens, das Verlangen nach
Things: Literary Ferment, Religious Perspectives, and National Self-Assertion, ebd.,
S. 17-28, George L. Kline, Religion, National Character, and the ‘Rediscovery of the
Russian Roots’, ebd., S. 29-40. - Die beste Monographie über die Entwicklung der
letzten zwanzig Jahre stammt von John B. Dunlop, The Faces of Contemporary
Russian Nationalism, Princeton 1983. Auf dieses gehaltvolle, in den Urteilen abge-
wogene Werk wird im folgenden Bezug genommen. Vgl. vom gleichen Verfasser:
The New Russian Revolutionaries, Belmont, Mass. 1976.
92 Ausführliche Berichterstattung über die Gesellschaft nach Informationen aus dem
Samizdat und der Emigration bei Dunlop, Faces, S. 63ff.; offizielle Darstellung: Ju.
A. Tichonov, S-ezdy Vserossijskogo obscestva ochrany pamjatnikov istorii i kul’tury,
in: Voprosy istorii 1984/10, S. 13-28. Die Gesellschaft gibt u.a. eine Publikations-
reihe unter dem Titel „Pamjatniki Otecestva“ (Denkmäler des Vaterlandes) heraus.
 
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