Metadaten

Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0040
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
38

Gottfried Seebass

tätsmedaillon der Himmelsleiter ist demnach nicht als furbittend, son-
dern als anbetend zu verstehen.
Aus dem unteren Teil des Himmels und seiner Wolken schweben
unter den beiden kleineren Medaillons zwei halbfigurige, bekleidete
Engel zur Erde. Beide halten jeder ein breites Schriftband, das zusam-
men mit einem von der rechten Hand Gottvaters ausgehenden
Spruchband die Verbindung zur Erde herstellt.
Zu den Rändern des Blattes ansteigend, zeigt die untere Hälfte des
Holzschnittes auf der Erde zwei sich gegenüberstehende Gruppen,
links Männer, rechts Frauen, deren vordere Reihen kniend, die hin-
teren stehend abgebildet sind. Zwischen ihnen steht eine dreispros-
sige, grobe Leiter, an deren oberem und unterem Endeje ein entrolltes
Spruchband schwebt. Sie scheint nicht aus Rundhölzern, sondern
bandartig, wie aus Brettern gearbeitet. Die Leiter könnte auch kaum
wirklich bestiegen werden, da sie nicht schräg anlehnt, sondern absolut
senkrecht aufragt und die drei Sprossen viel zu weit voneinander ent-
fernt sind. Endlos scheinen darüber hinaus ihre Holme unten in der
Erde zu versinken, oben im Himmel zu verschwinden. Durchaus ‘illu-
sionistisch’ gestaltet, dient sie keiner anderen Aufgabe, als die Texte
aufzunehmen.48
Mit ihren beiden Holmen trennt die Leiter die in der ersten Reihe
der beiden Gruppen hinten knienden, gleichwohl aber dadurch vor-
dersten Personen ab und hebt sie heraus. In der Literatur ist gelegent-
lich, zurückgehend auf Bartsch, behauptet worden, es handele sich um
Herzog Ernst den Frommen von Sachsen und seine Frau, Elisabeth
von Altenburg. Falk hat diese unzutreffende Bestimmung - Ernst der
Fromme lebte von 1601-1675! - nicht nur kritiklos übernommen, son-
dern außerdem behauptet, der Holzschnitt zeige „Ernest, Elector of
Saxony, Worshipping the Holy Family“.49 Lind das kann wohl nicht
mehr als Ausdruck eines ungeklärten Trinitätsverständnisses gewertet
werden, sondern ist schlicht falsch. Tatsächlich handelt es sich bei dem
bärtigen Mann in Adorantenstellung eindeutig um Friedrich den Wei-
sen. Gibt es doch Holzschnitte und Kupferstiche (Abb. 25) sowie ein
Tafelgemälde Cranachs, die den Kurfürsten mit ganz ähnlichen Zügen

48 Auf den ‘illusionistischen’ Charakter wies mich Herr Kollege Peter Anselm Riedl,
Heidelberg, hin. Damit erhält die Darstellung einen zum späten Mittelalter ja
durchaus auch gehörenden ‘spiritualisierenden’ Zug.
49 Vgl. Falk, Illustrated Bartsch 11, S. 396, Nr. 78 (287).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften