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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0050
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Gottfried Seebass

Vielfältig kennzeichnet die Himmelsleiter die Situation des Men-
schen, der von himmlischen und satanischen Mächten umworben
wird: den Menschen als Kampfplatz Gottes und des Satans. Die
Verführung der teuflischen Mächte wird in den Schriftbändern der
schrecklichen Phantasiegestalten am unteren Ende des oberen Holz-
schnittes deutlich, wenn es dort (links) heißt „So got kein gefallen hat
jn ewern verterben/ was arbeit [müht] jr so hart in lügenden biß auff
ewer sterben“. Dazu gesellt sich auf der anderen Seite die Aufforde-
rung, angesichts der Vergänglichkeit des Lebens Mühsal zu vermeiden
und sich ungehemmt der Lebenslust hinzugeben: „Huth dich mensch
vor harten dingen der du asch bist vnd schwacher natur/ Brauch in
wollust weil [solange] du lebst gots creatur.“ Dabei würde man vom
inneren Geschehen des Bildes her eigentlich erwarten, daß die Worte
der satanischen Wesen sich an die beiden dargestellten Gruppen rich-
ten, dann aber beide für den Betrachter auf dem Kopf stehen müßten.
Andererseits könnten sie auch die Warnung an den ausdrücken, der
die Leiter besteigen will, so daß man beide recte gewendet erwarten
würde. Im ersten Pall wären dann die Worte des linken Teufels ver-
sehentlich recte gesetzt worden. Im andern müßte erklärt werden,
warum die Worte des rechten Teufels Kopf stehen. Auch das ist mög-
lich. Denn die Stimme des links sitzenden Dämons, die sagt: „Wenn
Gott euer Verderben nicht gefällt“, ist dem Menschen seit Paradieses-
tagen bekannt - unverkennbar die der ‘alten Schlange’. Anders da-
gegen verhält es sich mit der Äußerung des rechts kauernden Teufels.
Die Mahnung an den Menschen, seiner Schwäche und Vergänglich-
keit eingedenk zu sein, ist ja auch die des Gottes der Propheten; der
Satan aber zieht die falsche Polgerung daraus. Deswegen also könnte
dieser Spruch ‘verkehrt’, auf dem Kopf stehen, wie sein Inhalt.
Im Unterschied zu den Worten der bösen Dämonen, die hier wie in
den früher erwähnten Bildtraditionen am Luß der Leiter hocken, sind
die Worte der Engel an die Menschen, ohne daß das explizit gesagt
wird, direkt der Bibel entnommen. Durch die für die Engel selbst les-
baren, daher kopfstehenden Sprüche ruft der Gott des alten und neuen
Testaments: Der rechts herabschwebende Engel fordert mit den Wor-
ten von Psalm 94,1 (Vulgata; 95,1): „Ku[m]ment hyrauff wir wollen vns
frewen jn dem herren vnd jübiliern gotte vnsr[e]n heyl.“ Dagegen
mahnt der auf der linken Seite mit den Worten Jesu aus Lk 13,24:
„Drenget euch hinein zu gehn durch die e[n]ge pfort“. In dem von
Gottvater selbst ausgehenden Schriftband aber ruft Gott den Men-
schen direkt zu sich: „Ku[m]bt all zu mir/ die jr mit jrdischer angst seit
 
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