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Gottfried Seebass
Leiden der Seelen“ drastisch geschildert sieht.7' Nein, hier geht es
nicht nur um Herz und Seele, sondern um das wirklich gelebte oder zu
lebende Leben des Menschen. Insgesamt handelt es sich um ein den
Betrachter und Leser warnendes und mahnendes Bild, das ihm ein-
schärfen will, den teuflischen Versuchungen nicht nachzugeben, den
auffordernden und bittenden Worten aus dem Himmel herab Gehör
zu schenken und sich mit Gottes Hilfe über die sieben Stufen ihm,
dem alleinigen Gott, zuzuwenden. Dabei ist es charakteristisch, daß
sich in den Tugenden der Leiter ein umfassender Appell vollzieht:
Man konnte, was hier als Lebenshaltung empfohlen war, mit einem
Leben ‘in der Welt’ und im bürgerlichen Beruf verbinden, wenn man
sie als prägende Haltung lebte, wollte man sie freilich buchstäblich
üben, so mußte das wohl in eine der klösterlichen Gemeinschaften
führen.
2. Die ersten reformatorischen Versionen der ‘Himmelsleiter’
Die Reformation, die die allem menschlichen Handeln zuvorkom-
mende gnädige Zuwendung Gottes zum Menschen als die Mitte des
Evangeliums wiederentdeckte, konnte sich den Traditionen der
Tugend- und Himmelsleitern gegenüber zunächst nur kritisch verhal-
ten. In einer Predigt des Jahres 1525 wandte sich Luther im Zusam-
menhang der Auslegung von Eph 3,19 gegen solche Leitern, ohne daß
klar wird, ob er deren literarische oder bildliche Traditionen meinte:
„Es ist viel davon geschrieben, wie der mensch soll vergottet werden,
da haben sie leytern gemacht, daran man gen hymel steyge und viel
solchs dings, Es ist aber eytel partecken werck, hie (sc. in Eph 3,19) ist
aber der rechte und nehiste weg hynan zu körnen angezeygt“.77 78 Die
Gottesfulle, von der Eph 3,19 spricht, findet Luther in einem ‘kräftigen
Glauben’ und in ‘brünstiger Liebe’.79 So ist es nicht verwunderlich,
daß die Cranachsche Himmelsleiter in ihrer ersten Fassung keine
neuen Auflagen in der Reformationszeit fand. Tatsächlich aber bot sie
gerade mit der Möglichkeit und Notwendigkeit von Textzugaben die
Chance, die Darstellung reformatorisch anzueignen. Und das geschah
77 Vgl. Scheidig in: Katalog der Lucas-Cranach-Ausstellung. Weimar und Wittenberg,
S. 68, Nr. 133, u. Schade in: Kunst der Reformationszeit, S. 108, Nr. B45.
78 WA 17, I, S. 438, 22-25 (Predigt vom 1. Oktober 1525?).
79 WA 17, I, S. 438, 13-15.
Gottfried Seebass
Leiden der Seelen“ drastisch geschildert sieht.7' Nein, hier geht es
nicht nur um Herz und Seele, sondern um das wirklich gelebte oder zu
lebende Leben des Menschen. Insgesamt handelt es sich um ein den
Betrachter und Leser warnendes und mahnendes Bild, das ihm ein-
schärfen will, den teuflischen Versuchungen nicht nachzugeben, den
auffordernden und bittenden Worten aus dem Himmel herab Gehör
zu schenken und sich mit Gottes Hilfe über die sieben Stufen ihm,
dem alleinigen Gott, zuzuwenden. Dabei ist es charakteristisch, daß
sich in den Tugenden der Leiter ein umfassender Appell vollzieht:
Man konnte, was hier als Lebenshaltung empfohlen war, mit einem
Leben ‘in der Welt’ und im bürgerlichen Beruf verbinden, wenn man
sie als prägende Haltung lebte, wollte man sie freilich buchstäblich
üben, so mußte das wohl in eine der klösterlichen Gemeinschaften
führen.
2. Die ersten reformatorischen Versionen der ‘Himmelsleiter’
Die Reformation, die die allem menschlichen Handeln zuvorkom-
mende gnädige Zuwendung Gottes zum Menschen als die Mitte des
Evangeliums wiederentdeckte, konnte sich den Traditionen der
Tugend- und Himmelsleitern gegenüber zunächst nur kritisch verhal-
ten. In einer Predigt des Jahres 1525 wandte sich Luther im Zusam-
menhang der Auslegung von Eph 3,19 gegen solche Leitern, ohne daß
klar wird, ob er deren literarische oder bildliche Traditionen meinte:
„Es ist viel davon geschrieben, wie der mensch soll vergottet werden,
da haben sie leytern gemacht, daran man gen hymel steyge und viel
solchs dings, Es ist aber eytel partecken werck, hie (sc. in Eph 3,19) ist
aber der rechte und nehiste weg hynan zu körnen angezeygt“.77 78 Die
Gottesfulle, von der Eph 3,19 spricht, findet Luther in einem ‘kräftigen
Glauben’ und in ‘brünstiger Liebe’.79 So ist es nicht verwunderlich,
daß die Cranachsche Himmelsleiter in ihrer ersten Fassung keine
neuen Auflagen in der Reformationszeit fand. Tatsächlich aber bot sie
gerade mit der Möglichkeit und Notwendigkeit von Textzugaben die
Chance, die Darstellung reformatorisch anzueignen. Und das geschah
77 Vgl. Scheidig in: Katalog der Lucas-Cranach-Ausstellung. Weimar und Wittenberg,
S. 68, Nr. 133, u. Schade in: Kunst der Reformationszeit, S. 108, Nr. B45.
78 WA 17, I, S. 438, 22-25 (Predigt vom 1. Oktober 1525?).
79 WA 17, I, S. 438, 13-15.