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Albrecht Dihle
fikation ist zweifellos zur genaueren Beschreibung eines nicht kleinen Bestandes
fragmentarisch erhaltener, teils gelehrter, teils belletristischer Literatur nützlich. Sie
fuhrt aber nicht näher an das heran, was die Alten im Auge hatten, wenn sie die Bio-
graphie neben die Historiographie stellten, eine höchst anspruchsvolle literarische
Gattung nämlich, deren Formgesetze die gleichzeitige Literartheorie aus ihrer
Funktion herzuleiten wußte.
Beachtenswert ist endlich der Versuch C. H. Talberts (ANRW II 16,2 [1978]
1619ff.), in einer Anzahl antiker Lebensbeschreibungen verschiedener Form und
Herkunft den gemeinsamen Zweck philosophischer und religiöser Werbung auf-
zudecken und auf diese Weise ein weiteres Ordnungsschema für einen Teil der
schwer zu gliedernden Masse biographischer Literatur zu gewinnen. Freilich, einer
eigentlichen Gattungsbestimmung kommt man auf diesem Wege nicht näher.
Die Frage nach der Biographie als literarischer Gattung kann also nicht einfach
mit Hinweisen auf die vielen literarischen Zeugnisse für ein reges biographisches
Interesse beantwortet werden, so wichtig dessen Vorhandensein als Voraussetzung
für das Entstehen einer distinkten Gattung auch gewesen sein muß. Die ganze oder
partielle Nacherzählung eines Lebenslaufs ist, das hat J. Geiger mit Recht gegen
den allzu simplen Definitionsversuch Momiglianos hervorgehoben, nicht ohne
weiteres mit der Biographie im Sinn einer literarischen Gattung gleichzusetzen
(Cornelius Nepos and Ancient Political Biography - Historia Einzelschr. 47,
1985,14 = Geiger I). Denn daß es mindestens in der Zeit Plutarchs eine solche Gat-
tung gab und sie im Bewußtsein der Zeitgenossen von der Historiographie auch
theoretisch klar geschieden war, bezeugen Vorreden Plutarchs (vor allem Alex. 1;
ferner Aem. Paul. 1 - s. u. S. 17 f. Pericl. 1; Nie. 1; Cim. 2,2; Galb. 2; Artax. 8,1;
Fab. Max. 16; Cat. min. 37; Pomp. 8,6. Vgl. auch deHdt. malign. 853F und de glor.
Athen. 347 Df.) unmißverständlich. Zu dieser Gattung wurden aber wohl nur lite-
rarisch geformte Werke gerechnet. Andernfalls hätte Plutarch sie nicht wiederholt
der Historiographie, der anspruchsvollsten Gattung literarischer Prosa nächst den
drei Genera der eigentlichen Rede, gegenüberstellen können und einer Verwechs-
lung seiner Biographien mit Geschichtswerken so ausdrücklich vorbeugen müssen.
Auf denselben Schluß führt die u. S. 10 zu besprechende Äußerung des Polybios.
Nun ist es nicht schwer, aus dem erhaltenen Material eine Definition zu gewin-
nen, welche die griechische Biographie als literarische Gattung mit eigenen Gestal-
tungsgesetzen erfaßt und gegenüber den benachbarten Gattungen der Historio-
graphie und des Enkomions, von aretalogischen Lebensbeschreibungen sowie den
subliterarischen, aber meist durchaus geordneten Sammlungen biographischen
Materials in der grammatischen und anekdotischen Tradition abgrenzt. Sie besagt,
daß man von Biographie als literarischer Gattung sprechen kann, wenn das Leben
eines Menschen als Ganzes ins Auge gefaßt, in seinem Ablauf, wenn auch nicht
notwendigerweise mit allen bekannten Details, dargestellt und als Verwirklichung
eines moralisch bewerteten Charakters interpretiert wird, welcher der Erfahrung
Albrecht Dihle
fikation ist zweifellos zur genaueren Beschreibung eines nicht kleinen Bestandes
fragmentarisch erhaltener, teils gelehrter, teils belletristischer Literatur nützlich. Sie
fuhrt aber nicht näher an das heran, was die Alten im Auge hatten, wenn sie die Bio-
graphie neben die Historiographie stellten, eine höchst anspruchsvolle literarische
Gattung nämlich, deren Formgesetze die gleichzeitige Literartheorie aus ihrer
Funktion herzuleiten wußte.
Beachtenswert ist endlich der Versuch C. H. Talberts (ANRW II 16,2 [1978]
1619ff.), in einer Anzahl antiker Lebensbeschreibungen verschiedener Form und
Herkunft den gemeinsamen Zweck philosophischer und religiöser Werbung auf-
zudecken und auf diese Weise ein weiteres Ordnungsschema für einen Teil der
schwer zu gliedernden Masse biographischer Literatur zu gewinnen. Freilich, einer
eigentlichen Gattungsbestimmung kommt man auf diesem Wege nicht näher.
Die Frage nach der Biographie als literarischer Gattung kann also nicht einfach
mit Hinweisen auf die vielen literarischen Zeugnisse für ein reges biographisches
Interesse beantwortet werden, so wichtig dessen Vorhandensein als Voraussetzung
für das Entstehen einer distinkten Gattung auch gewesen sein muß. Die ganze oder
partielle Nacherzählung eines Lebenslaufs ist, das hat J. Geiger mit Recht gegen
den allzu simplen Definitionsversuch Momiglianos hervorgehoben, nicht ohne
weiteres mit der Biographie im Sinn einer literarischen Gattung gleichzusetzen
(Cornelius Nepos and Ancient Political Biography - Historia Einzelschr. 47,
1985,14 = Geiger I). Denn daß es mindestens in der Zeit Plutarchs eine solche Gat-
tung gab und sie im Bewußtsein der Zeitgenossen von der Historiographie auch
theoretisch klar geschieden war, bezeugen Vorreden Plutarchs (vor allem Alex. 1;
ferner Aem. Paul. 1 - s. u. S. 17 f. Pericl. 1; Nie. 1; Cim. 2,2; Galb. 2; Artax. 8,1;
Fab. Max. 16; Cat. min. 37; Pomp. 8,6. Vgl. auch deHdt. malign. 853F und de glor.
Athen. 347 Df.) unmißverständlich. Zu dieser Gattung wurden aber wohl nur lite-
rarisch geformte Werke gerechnet. Andernfalls hätte Plutarch sie nicht wiederholt
der Historiographie, der anspruchsvollsten Gattung literarischer Prosa nächst den
drei Genera der eigentlichen Rede, gegenüberstellen können und einer Verwechs-
lung seiner Biographien mit Geschichtswerken so ausdrücklich vorbeugen müssen.
Auf denselben Schluß führt die u. S. 10 zu besprechende Äußerung des Polybios.
Nun ist es nicht schwer, aus dem erhaltenen Material eine Definition zu gewin-
nen, welche die griechische Biographie als literarische Gattung mit eigenen Gestal-
tungsgesetzen erfaßt und gegenüber den benachbarten Gattungen der Historio-
graphie und des Enkomions, von aretalogischen Lebensbeschreibungen sowie den
subliterarischen, aber meist durchaus geordneten Sammlungen biographischen
Materials in der grammatischen und anekdotischen Tradition abgrenzt. Sie besagt,
daß man von Biographie als literarischer Gattung sprechen kann, wenn das Leben
eines Menschen als Ganzes ins Auge gefaßt, in seinem Ablauf, wenn auch nicht
notwendigerweise mit allen bekannten Details, dargestellt und als Verwirklichung
eines moralisch bewerteten Charakters interpretiert wird, welcher der Erfahrung