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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0011
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Die Entstehung der historischen Biographie

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des Lesers kommensurabel ist. Gerade die letztgenannte moralisch-pädagogische
Zielsetzung scheint, wie Plutarch lehren kann, für die Konstituierung der Gattung
besondere Bedeutung besessen zu haben (Aem. Paul. 5; Arat. 1; Demetr. 1; vgl.
Geiger 123). Tatsächlich liefert, wie die Biographien Plutarchs erweisen, eben diese
Erfassung und Deutung eines Menschenlebens den lohnenden Anlaß zur Entfal-
tung und Disziplinierung einer besonderen Kunstform literarischer Darstellung.
Auf der Basis dieser Definition wird der Unterschied einer plutarchischen Vita
zu einem Geschichtswerk deutlich, auch der Unterschied zwischen einer plutarchi-
schen Biographie und einer modernen Biographie, sofern sie als Form der
Geschichtsschreibung dient. Diese läßt die Geschichte einer Epoche als Abfolge
von Ereignissen deutlich werden, die vornehmlich im Tun und Leiden des Titel-
helden besteht. In einer plutarchischen Biographie interessieren hingegen
geschichtliche Begebenheiten nur insoweit, als sie Einblick in die moralischen
Eigenschaften des Helden gewähren, und sie sind darum für den Biographen oft
nicht interessanter als geschichtlich belanglose Vorfälle aus seinem Privatleben.
Umgekehrt werden diese für die historische Biographie der Neuzeit nur gelegent-
lich interessant, weil der Biograph mit ihrer Hilfe die Rolle des Helden in ihrer
Bedeutung für die geschichtlichen Ereignisse glaubt besser erklären zu können. Mit
dem erklärenden Rückgriff auf alltägliche Begebenheiten im Leben des Helden
überbrückt er die Kluft, die sich zwischen den weltbewegenden Leistungen des
geschichtlich wirksamen Akteurs in einem zeitlich, geographisch und sozial mög-
licherweise weit entlegenen Milieu und der Alltagserfahrung des Lesers auftut.
Die oben vorgeschlagene Definition macht auch den Unterschied zwischen Bio-
graphie und Enkomion deutlich, insofern dieses nicht den als Ganzes erfaßten
Lebenslauf als moralisches Phänomen, sondern nur den Katalog der durch einzelne
Begebenheiten dokumentierten Vorzüge des Helden darstellt. Die Definition
macht ferner die Entstehung der griechischen Biographie aus der ethischen
Theorie, und zwar gerade im Peripatos, der frühsten Pflegestätte biographischer
Schriftstellerei, besser verständlich (G. Arrighetti, Cameleonte, la mimesis e la cri-
tica letteraria = Filologia e critica letteraria della Grecitä, Pisa 1984, 1 Iff.). Sie hilft
begreifen, warum die Biographie in der griechischen Literatur niemals zur aner-
kannten Form der Geschichtsschreibung geworden ist. Schließlich macht sie es
überflüssig, die als literarische Gattung begriffene Biographie zum Unterschied
zwischen den Lebensbeschreibungen von Personen aus dem Geistesleben und sol-
chen der politischen Geschichte in eine notwendige Beziehung zu setzen. Dieser
Unterschied wurde in der neueren Forschung zumeist stärker hervorgehoben, als es
die erhaltenen Texte rechtfertigen.
Aber entspricht unsere Definition auch einer bezeugten oder an erhaltenen
Werken abzulesenden antiken Theorie?
Die frühste ausdrückliche Bezugnahme auf den Unterschied zwischen
Geschichtsschreibung einerseits, Biographie bzw. Enkomion andererseits findet
 
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