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Albrecht Dihle
Überlieferung bezeugt. Die ausdrückliche Erwähnung der besonderen, außerhalb
des Menschenmaßes liegenden Natur des Königs begegnet vor allem in der pseud-
epigraphen pythagoreischen Literatur περί βασιλείας. So schreibt z. B. Ekphantos
(p. 79 Thesleff), daß der König gegenüber den übrigen Menschen in demselben
Verhältnis stehe wie der Mensch zu den übrigen Lebewesen. Der König hat am
wertvolleren Teil der Natur einen höheren Anteil als andere Menschen, denen er
nur im Hinblick auf seine Körperlichkeit gleicht. Der Weltschöpfer hat ihn nach
seinem eigenen Bild geschaffen. Damit ist er sichtbare Erscheinung des Weltgottes,
dem Schöpfer bekannt und den Untertanen in seinem Königsamt wie im Licht
erscheinend. Die bis heute umstrittene Datierung dieses und der übrigen pytha-
goreisierenden Traktate braucht hier nicht im einzelnen erörtert zu werden (vgl. W.
Burkert u. H. Thesleff, Entr. Hardt 18, 1971, 23ff. bzw. 57ff). Daß aber hier helle-
nistische Auffassungen vom Wesen des Königtums zum Ausdruck kommen, dürfte
nicht fraglich sein. Von der aller sittlichen Erziehung, auf die jene Schriften größten
Wert legen, vorausgehenden, besonderen, gottgewollten Beschaffenheit des Königs
reden auch andere Traktate dieser Gruppe. So sagt Sthenidas (p. 187 Thesleff), der
Weltgott sei φύσει πρώτος βασιλεύς και δυνάστας, der König γενέσει καί μιμήσει.
Auch die Lehre vom König als νόμος έμψυχος, den diese Traktate mit anderen
Schriften über das Königtum teilen (Archytas p. 33 Thesleff; Diotogenes p. 71 Thes-
leff), setzt wohl meist die besondere Natur des Königs voraus.
Die schon im Hellenismus vorhandene und nicht selten verwirklichte Möglich-
keit, den Herrscher, aber auch andere durch ungewöhnliche Machterweise aus-
gezeichnete Personen in die Sakralsphäre einzuordnen (vgl. Plut. Flam. 16 mit dem
Bericht eines Ereignisses aus d. J. 191 v. C., oder das bei Athenaios 6,253 E überlie-
ferte Kultlied auf Demetrios Poliorketes), ihnen also eine über die Menschennatur
hinausführende Qualität zuzusprechen, tritt dem Betrachter dann in der kom-
plexen Erscheinung des römischen Kaiserkultes noch deutlicher vor Augen (C.
Habicht, Entr. Hardt 19, 1972, 39 ff). Die Dauer, Ausgestaltung und umfassende
Geltung dieser Einrichtung des Sakralwesens bezeugt, wie verbreitet bei den Men-
schen im Osten wie im Westen des Reiches die Vorstellung gewesen sein muß, daß
dem Kaiser unabhängig von seiner sittlichen oder politischen Tüchtigkeit eine
numinose Qualität eigne, die der normalen Menschennatur fehlt.
Es ist bekannt, mit welcher Zurückhaltung Augustus diese Position in Anspruch
nahm, wie aber trotz aller seiner Versuche, sich mehr am philosophischen als am
religiösen Herrscherideal zu orientieren, die sakrale Funktion des Kaisers schon
zu Augustus’ Lebzeiten und zunehmend im Verlauf des 1. nachchristlichen Jahr-
hunderts in den Vordergrund trat. Zwar hielt man in der Philosophie und in der
philosophisch bestimmten Literatur dieser Zeit durchweg am „menschlichen“
Herrscherideal fest, das für die Vorstellung von einer angeborenen übermensch-
lichen Qualität der Person des Kaisers keinen Platz hatte (G. W. Bowersock, Entr.
Hardt 19,1972,177 ff). Hier liegt einer der Gründe für die oft beschworene Opposi-
Albrecht Dihle
Überlieferung bezeugt. Die ausdrückliche Erwähnung der besonderen, außerhalb
des Menschenmaßes liegenden Natur des Königs begegnet vor allem in der pseud-
epigraphen pythagoreischen Literatur περί βασιλείας. So schreibt z. B. Ekphantos
(p. 79 Thesleff), daß der König gegenüber den übrigen Menschen in demselben
Verhältnis stehe wie der Mensch zu den übrigen Lebewesen. Der König hat am
wertvolleren Teil der Natur einen höheren Anteil als andere Menschen, denen er
nur im Hinblick auf seine Körperlichkeit gleicht. Der Weltschöpfer hat ihn nach
seinem eigenen Bild geschaffen. Damit ist er sichtbare Erscheinung des Weltgottes,
dem Schöpfer bekannt und den Untertanen in seinem Königsamt wie im Licht
erscheinend. Die bis heute umstrittene Datierung dieses und der übrigen pytha-
goreisierenden Traktate braucht hier nicht im einzelnen erörtert zu werden (vgl. W.
Burkert u. H. Thesleff, Entr. Hardt 18, 1971, 23ff. bzw. 57ff). Daß aber hier helle-
nistische Auffassungen vom Wesen des Königtums zum Ausdruck kommen, dürfte
nicht fraglich sein. Von der aller sittlichen Erziehung, auf die jene Schriften größten
Wert legen, vorausgehenden, besonderen, gottgewollten Beschaffenheit des Königs
reden auch andere Traktate dieser Gruppe. So sagt Sthenidas (p. 187 Thesleff), der
Weltgott sei φύσει πρώτος βασιλεύς και δυνάστας, der König γενέσει καί μιμήσει.
Auch die Lehre vom König als νόμος έμψυχος, den diese Traktate mit anderen
Schriften über das Königtum teilen (Archytas p. 33 Thesleff; Diotogenes p. 71 Thes-
leff), setzt wohl meist die besondere Natur des Königs voraus.
Die schon im Hellenismus vorhandene und nicht selten verwirklichte Möglich-
keit, den Herrscher, aber auch andere durch ungewöhnliche Machterweise aus-
gezeichnete Personen in die Sakralsphäre einzuordnen (vgl. Plut. Flam. 16 mit dem
Bericht eines Ereignisses aus d. J. 191 v. C., oder das bei Athenaios 6,253 E überlie-
ferte Kultlied auf Demetrios Poliorketes), ihnen also eine über die Menschennatur
hinausführende Qualität zuzusprechen, tritt dem Betrachter dann in der kom-
plexen Erscheinung des römischen Kaiserkultes noch deutlicher vor Augen (C.
Habicht, Entr. Hardt 19, 1972, 39 ff). Die Dauer, Ausgestaltung und umfassende
Geltung dieser Einrichtung des Sakralwesens bezeugt, wie verbreitet bei den Men-
schen im Osten wie im Westen des Reiches die Vorstellung gewesen sein muß, daß
dem Kaiser unabhängig von seiner sittlichen oder politischen Tüchtigkeit eine
numinose Qualität eigne, die der normalen Menschennatur fehlt.
Es ist bekannt, mit welcher Zurückhaltung Augustus diese Position in Anspruch
nahm, wie aber trotz aller seiner Versuche, sich mehr am philosophischen als am
religiösen Herrscherideal zu orientieren, die sakrale Funktion des Kaisers schon
zu Augustus’ Lebzeiten und zunehmend im Verlauf des 1. nachchristlichen Jahr-
hunderts in den Vordergrund trat. Zwar hielt man in der Philosophie und in der
philosophisch bestimmten Literatur dieser Zeit durchweg am „menschlichen“
Herrscherideal fest, das für die Vorstellung von einer angeborenen übermensch-
lichen Qualität der Person des Kaisers keinen Platz hatte (G. W. Bowersock, Entr.
Hardt 19,1972,177 ff). Hier liegt einer der Gründe für die oft beschworene Opposi-