Symmetrie im Spiegel der Antike
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Homer, der uns von dieser Zeit kündet, finden wir jedoch keinen Aus-
druck für den Begriff. Übrigens gebraucht dieser Dichter schon die
Vokabeln metron und harmonie, wenn auch nur in rein praktischer
Anwendung und keineswegs als Leitprinzipien46. Daß dem Homer
auch kairos bereits nicht fremd war, dürfen wir daraus schließen, daß
er davon abgeleitete Adjektive kennt und gebraucht, wie z. B. kairios,
was bei ihm die Stelle bezeichnet, wo eine Verwundung ‘treffend’ ist,
d.h. tödlich wirkt.
Die geometrische griechische Kunst der eigenen Zeit Homers, wo
wir vor allem Symmetrie in unserem Sinn erwarten, ist etwa in ihren
zahlreichen Ornamenten auf Vasen nicht durchwegs davon geprägt47,
so sehr diese Gebilde proportional ansprechend gegliedert sind, wofür
der sogenannte Mäanderfries als Beispiel dienen mag. Erstaunlich
gleichförmige Symmetrie (auch wieder in unserem Wortsinn) weist
dagegen die nachfolgende archaische Kunst in ihrem Menschenbildnis
auf, wiederum nicht ohne fremden, d. h. hier ägyptischen Einfluß48.
werke. So bes. I. Scheibler aO. (ob. Anm. 42); vgl. a. B. H. Gombrich, The sense
of order ... 1979 (21984), S. 232-234: ‘Heraldic Symbolism’. Von einem ‘Wappen-
stil’ hatten schon E. Curtius, Abh. d. Preuß. Ak. d. Wiss. 1874) und A. Riegl
gesprochen. Siehe dessen aufschlußreiches Kapitel ‘Der Wappenstil’ aO., S. 33-40.
46 rhythmos finden wir um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. erstmals belegt bei den Pytha-
goreeren Philolaos und Damon sowie beim Tragiker Aischylos, dann auch bei
Herodot und Demokrit. Doch ist es ja mindestens in der ionischen Form rhysmös
wesentlich älter, wie wir oben bereits gesehen haben, freilich noch nicht home-
risch. Die Geschichte des Worts, die O. ScHROEDERim Hermes 53, 1918, S. 324-
329 bietet, und an die sich K. v. Fritz, Philosophie und sprachlicher Ausdruck bei
Demokrit, Platon und Aristoteles 1938 (21966) 25f. im wesentlichen anschließt, ist
durch neuere Forschungen weithin überholt. Wie oben bereits betont, bezeichnet
rhysmös bei Archilochos das ‘rechte Maß’ (nicht das „Auf und Ab des Lebens“),
was sich mit der Grundbedeutung ‘geregelte Bewegung’ (von rheo) und ‘ wohlpro-
portionierte Form’ durchaus verträgt. Hier ist also das Ineinander von zeitlichem
und räumlichem Aspekt besonders augenfällig. Siehe jetzt die Ausführungen von
P. Chantraine, Dictionn. etymologique de la langue grecque (1977) s. v. rhythmos
mit der neueren Literatur (bes. E. Wolf, Wiener Studien 68, 1955, S. 99-115, wo
freilich in einem wichtigen Forschungsbericht Entscheidendes fehlt und für die
Grundbedeutung immer noch an ‘Auf und Ab der Wellen des Flusses’ u. dglchn.
festgehalten wird).
47 Zu der symmetrisch eingerahmten Prothesis auf der Bauchhenkelamphore in
Athen s. I. Scheibler aO., S. 44.
48 Die „symmetrische Achsengebundenheit“ der altägyptischen Kunst ist fast zu
einem Schlagwort geworden. Vgl. allgemein dazu B. Schweitzer, Das Problem
der Form in der Kunst des Altertums. In: Handbuch der Archäologie I 1939, S.
397. Auf eine wichtige Stelle, wo das ägyptische Symmetrie-Vorbild der Griechen,
wenn auch mit anekdotenhafter Ausschmückung, erörtert wird, und auf die Litera-
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Homer, der uns von dieser Zeit kündet, finden wir jedoch keinen Aus-
druck für den Begriff. Übrigens gebraucht dieser Dichter schon die
Vokabeln metron und harmonie, wenn auch nur in rein praktischer
Anwendung und keineswegs als Leitprinzipien46. Daß dem Homer
auch kairos bereits nicht fremd war, dürfen wir daraus schließen, daß
er davon abgeleitete Adjektive kennt und gebraucht, wie z. B. kairios,
was bei ihm die Stelle bezeichnet, wo eine Verwundung ‘treffend’ ist,
d.h. tödlich wirkt.
Die geometrische griechische Kunst der eigenen Zeit Homers, wo
wir vor allem Symmetrie in unserem Sinn erwarten, ist etwa in ihren
zahlreichen Ornamenten auf Vasen nicht durchwegs davon geprägt47,
so sehr diese Gebilde proportional ansprechend gegliedert sind, wofür
der sogenannte Mäanderfries als Beispiel dienen mag. Erstaunlich
gleichförmige Symmetrie (auch wieder in unserem Wortsinn) weist
dagegen die nachfolgende archaische Kunst in ihrem Menschenbildnis
auf, wiederum nicht ohne fremden, d. h. hier ägyptischen Einfluß48.
werke. So bes. I. Scheibler aO. (ob. Anm. 42); vgl. a. B. H. Gombrich, The sense
of order ... 1979 (21984), S. 232-234: ‘Heraldic Symbolism’. Von einem ‘Wappen-
stil’ hatten schon E. Curtius, Abh. d. Preuß. Ak. d. Wiss. 1874) und A. Riegl
gesprochen. Siehe dessen aufschlußreiches Kapitel ‘Der Wappenstil’ aO., S. 33-40.
46 rhythmos finden wir um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. erstmals belegt bei den Pytha-
goreeren Philolaos und Damon sowie beim Tragiker Aischylos, dann auch bei
Herodot und Demokrit. Doch ist es ja mindestens in der ionischen Form rhysmös
wesentlich älter, wie wir oben bereits gesehen haben, freilich noch nicht home-
risch. Die Geschichte des Worts, die O. ScHROEDERim Hermes 53, 1918, S. 324-
329 bietet, und an die sich K. v. Fritz, Philosophie und sprachlicher Ausdruck bei
Demokrit, Platon und Aristoteles 1938 (21966) 25f. im wesentlichen anschließt, ist
durch neuere Forschungen weithin überholt. Wie oben bereits betont, bezeichnet
rhysmös bei Archilochos das ‘rechte Maß’ (nicht das „Auf und Ab des Lebens“),
was sich mit der Grundbedeutung ‘geregelte Bewegung’ (von rheo) und ‘ wohlpro-
portionierte Form’ durchaus verträgt. Hier ist also das Ineinander von zeitlichem
und räumlichem Aspekt besonders augenfällig. Siehe jetzt die Ausführungen von
P. Chantraine, Dictionn. etymologique de la langue grecque (1977) s. v. rhythmos
mit der neueren Literatur (bes. E. Wolf, Wiener Studien 68, 1955, S. 99-115, wo
freilich in einem wichtigen Forschungsbericht Entscheidendes fehlt und für die
Grundbedeutung immer noch an ‘Auf und Ab der Wellen des Flusses’ u. dglchn.
festgehalten wird).
47 Zu der symmetrisch eingerahmten Prothesis auf der Bauchhenkelamphore in
Athen s. I. Scheibler aO., S. 44.
48 Die „symmetrische Achsengebundenheit“ der altägyptischen Kunst ist fast zu
einem Schlagwort geworden. Vgl. allgemein dazu B. Schweitzer, Das Problem
der Form in der Kunst des Altertums. In: Handbuch der Archäologie I 1939, S.
397. Auf eine wichtige Stelle, wo das ägyptische Symmetrie-Vorbild der Griechen,
wenn auch mit anekdotenhafter Ausschmückung, erörtert wird, und auf die Litera-