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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0110
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Ernst A. Schmidt

Kontexts die Syrinxgeschichte wieder nach dem Anfangstyp - und die
letzte Erzählung (Apollo und Coronis) wohl auch insofern eine Locke-
rung des Gefüges andeutete, als sie zu Apollo zurückkehrte und nun das
Motiv der Eifersucht des Liebenden selbst einführte.
Libido männlicher Götter und Verweigerung sterblicher Jungfrauen
führte in einigen Geschichten zu sexueller Gewalt. Caenis, in Buch 12,
von Neptun überwältigt, schafft solche männliche Gewalt ab, innerhalb
ihrer Geschichte für sich selbst durch Metamorphose in einen Mann,
innerhalb der Metamorphosen thematisch für den Rest des Werkes: von
met. 12,201 f. an gibt es in dem Gedicht keine Vergewaltigungen mehr.
Ja, in der nächsten Liebesgeschichte, Glaucus begehrt Scylla, rät Circe
dem erfolglosen Meergott (met. 14,28f.): „melius sequerere volentem /
optantemque eadem parilique cupidine captam.“ Und in beiden Circe-
geschichten wird die Göttin und Zauberin zur (vergeblich) Begehren-
den. Apollos Liebe zu Sibylla bleibt ohne sexuelle Erfüllung, und die
beiden Geschichten von Picus und Canens und von Vertumnus und Po-
mona sind Erzählungen gegenseitiger Liebe. Vgl. met. 14,332-336 zu
Picus - Canens. Die Wechselseitigkeit der Liebe ist besonders auffällig
in der Vertumnus-Pomona-Geschichte, da diese zunächst ganz nach
dem Muster gehender, begehrender, werbender, täuschender Gott‘ ab-
läuft und es auf einmal statt des dann zu erwartenden „und er gebrauchte
die männliche Gewalt des Gottes“ zu schönster Überraschung (aber
eben auch Bestätigung) heißt (met. 14,770f.): „vimque parat, sed vi non
est opus, inque figura / capta dei nympha est et mutua vulnera sensit.“
Eben um dieser Pointe willen hatte Ovid die Geschichte damit eingelei-
tet, daß Pomona ,sich nicht nach Männerliebe sehnte‘22 („Veneris [. . .]
nulla cupido“, met. 14,634) und vor männlicher Gewalt durch Land-
leute, Halbgötter und Götter wie Satyrn, Pane, Silen Furcht hatte
(v. 635ff.: „vim tarnen [. . .] metuens [.../...] accessus prohibet refugit-
que virilis./ [. . .]“). Die wechselseitige Liebe („mutua vulnera“} im Sinn
weiblicher Erwiderung göttlichen Begehrens ist der letzte Vers der letz-
ten Geschichte zum Thema „Götter lieben Sterbliche“ in den Metamor-
phosen. Diese Gegenseitigkeit ist motivisch eine Errungenschaft voran-
gegangener Geschichten zwischenmenschlicher Liebe.23

22 Nach der Übersetzung von Albrechts.
23 Vgl. auch Davis (1983), S. 66-71: die Pomona-Erzählung als „transcendence of the
norm“: „conversion“ einer „anti-sexual nymph-huntress“ (S. 43) des Geschichtengrund-
typs in „a mature participant in a mutual love“.
 
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