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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0202
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200

Wolfgang Raible

nach dem bisher Gesagten ein Problem zu erwarten. In einer etablierten
„Kultursprache“ mit langer Schrifttradition, etwa dem heutigen Franzö-
sischen, steht eine breite Skala von Junktionstechniken zwischen den
Polen der Aggregation und der Integration zur Verfügung. Diese Tech-
niken werden nur nicht in allen Diskursen gleichermaßen eingesetzt.
Wir wissen nun, daß Sprach werke im Bühlerschen Sinne, zumal schrift-
sprachliche Diskurse, ganz spezifischer (also z.B. nicht dominant auf
der Intonation basierender) und in aller Regel stärker integrativer Junk-
tionstechniken bedürfen15; wir wissen aber gleichzeitig, daß Kreolspra-
chen oder Sprachen von der Art des français cadien weitestgehend als
„Sprache der Nähe“, d. h. nur in Form von Sprechhandlungen, nicht von
Sprachwerken, realisiert werden (oder bis jetzt realisiert wurden). Dies
bedeutet für die Sprecher einer Kreolsprache, also einer gewissermaßen
neu entstandenen Sprache, daß solche integrativen Junktionstechniken
nur in gewissem Umfang zu ihrer Verfügung stehen werden; auf Bühlers
Vierfelder-Schema übertragen: daß das Korrelat des Sprachwerks auf
der höher formalisierten Ebene, das Sprachgebilde (das in etwa den Sta-
tus der Saussureschen langue hat), solche eher schriftsprachlichen Tech-
niken noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stellt. Es fragt
sich nun, wie sich diejenigen verhalten werden, die nicht nur Sprech-
handlungen, sondern - in diesem Fall schriftliche - Sprachwerke schaf-
fen wollen.
Die Antwort darauf geben die schriftlichen Texte der jeweiligen Spra-
chen. Hier kann zunächst auf einiges zurückgegriffen werden, was be-
reits weiter oben ausgeführt wurde. Es hat sich beispielsweise erwiesen,
daß bei den Sprechern des français cadien Louisianas eine starke Ten-
denz besteht, das que, das sich im Französischen zu einem Integrations-
Signal erster Ordnung entwickelt hat und insbesondere die Junktoren
der Technik IV des Faltblatts charakterisiert, wegfallen zu lassen. Avant
que wird zu avant, tellement... que wird zu tellement, parce que zu parce.
Da es im français cadien nicht, wie im Deutschen, eine besondere „Ne-
bensatz-Stellung“ gibt, und da auch der Modus ,Konjunktiv4 als Signal
der Integration fast ganz verschwunden ist, bedeutet dies im Grunde,
auf die kontinental-französischen (schriftsprachlichen) Integrations-
Techniken bezogen, ein Zusammenfallen der Techniken III und IV zu
einer einzigen. Dies entspricht genau den Feststellungen Hans-Peter
15 Susanne Michaelis behandelt in ihrer Dissertation (1991) über die Subordinationstech-
niken des Seychellen-Kreols ausführlich auch die beträchtlichen, dominant intonatori-
schen und nähesprachlichen, Mittel der Junktion in einer Kreolsprache.
 
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