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Assmann, Jan; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 2. Abhandlung): Monotheismus und Kosmotheismus: ägyptische Formen eines "Denkens des Einen" und ihre europäische Rezeptionsgeschichte ; vorgetragen am 24. April 1993 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48168#0029
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Monotheismus

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eine Reihe, die bei den Weltformeln unserer Tage, bei Einstein und
Heisenberg endet.63
Diese neue Weltformel wurde vom König aber als eine religiöse
Offenbarung erfahren, die er mit äußerster Radikalität in die Wirk-
lichkeit umsetzte. Alle traditionellen Kulte wurden geschlossen,
nur noch der neue Gott „Aton“, und auch dieser so gut wie nur noch
in Amarna, durften verehrt werden. Mit diesem Schritt stellte sich
Echnaton an den Anfang einer ganz anderen Reihe, die nach ihm
der eher legendäre Moses sowie später Buddha, Jesus und Moham-
med fortsetzten: die Reihe der Religionsstifter. Die Amarna-Reli-
gion ist die erste gestiftete Religion der Geschichte.
Der neue Gott ist die Sonne bzw. ägyptisch „die lebendige Son-
ne“.64 Die lebendige Sonne ist jene Energie, die durch ihre Bewegung
die Zeit und durch ihre Strahlung das Licht und damit alle sichtba-
ren Dinge hervorbringt. Die Sonne ist natürlich auch in der traditio-
nellen Religion göttlich verehrt worden. Der Sonnengott ist sogar
in Ägypten der Schöpfer- und Reichsgott, der die Welt durch seine
scheinbare Bewegung um die Erde, den „Sonnenlauf“, in Gang hält.
Aber dieser Sonnenlauf ist eine kollektive Veranstaltung, die
gesamte Götterwelt ist daran beteiligt, und daher ist der traditio-
nelle Sonnengott auch ein „konstellativer“ Gott. Damit ist gesagt,
daß er seinen Wesen nur in Rollen entfaltet, die er im Rahmen von
Konstellationen mit anderen Gottheiten spielt. Er wird am Morgen
als Kind aus der Mutter- und Himmelsgottheit geboren, in die er am
Abend als Greis wieder eingeht. Am Mittag, in der Himmelshöhe,
steht er im Zenith seiner Kraft; jetzt findet das Strafgericht am
Feind statt, in dem sich alle Kräfte verkörpern, die der Harmonie
des kosmischen Lebens entgegenstehen und es mit Stillstand und
Auflösung bedrohen. Des Nachts vereinigt sich der in die Erdtiefe
hinabgesunkene Gott mit Osiris, dem Gott der Toten und der Ver-
gangenheit, um den neuen Tag an die vergangenen zu binden und
die Kontinuität der Zeit zu gewährleisten. In solchen und vielen
anderen mythischen Bildern von großem Reichtum und Geheimnis

63 Vgl. J. P. Allen,“The Natural Philosophy of Akhenaten”, in: W. K. Simpson, ed.,
Religion and Philosophy in Ancient Egpyt, YES 3. New Haven 1989, 89-101. Zu
Geschichte und Religion der Amarnazeit vgl. ferner D.B. Redford, Akhenaten,
the Heretic King, Princeton 1984; Η. A. Schlögl, Echnaton - Tutenchamun. Fakten
und Texte, Wiesbaden 21985; C. MAreA, Akhenaten, King of £gypt, London 1988.
64 Vgl. Verf., Akhanyati’s Theology of Light and Time. Proceedings of the Israel
Academy of Sciences and Humanities,\'\\ 4, Jerusalem 1992, 143-176.
 
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