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Wolfgang Schluchter
sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils überge-
hen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eige-
nen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren End-
zweck tätig sind“. Subjektive und objektive Freiheit, besondere und
allgemeine Interessen greifen ineinander, und der institutionelle
Rahmen dafür ist jetzt der moderne Staat. Dieser aber, so der alte
Hegel, habe darin seine „ungeheure Stärke und Tiefe“, daß er es
ermögliche, „das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen
Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und
zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm
selbst diese zu erhalten.“9
Auf seinem langen Weg vom ältesten Systemprogramm zum
ausgearbeiteten System, zu dem auch die Rechtsphilosophie
gehört, wechselt Hegel also gleichsam die Fronten. Aus dem extre-
men Antiinstitutionalisten der Jugend wird im Alter der eher
extreme Institutionalist.10 Doch bevor man ihn dafür schilt, wie es
dann ja unter anderen der von romantischen Strömungen gleich-
falls nicht unbeeinflußte junge Marx tat, sollte man für unser
Thema festhalten: Hegel bejaht nicht nur das Prinzip der Subjek-
tivität und die damit einhergehende subjektive oder individuelle
Freiheit, er bindet ihre Verwirklichung auch an ein Modell institu-
tioneller Differenzierung, das auf der Idee vom Eigenrecht institu-
tionell verfaßter Eebenssphären beruht. Nicht nur die objektive,
auch die subjektive Freiheit, nicht nur die allgemeinen, auch die
besonderen Interessen müssen eine institutionelle Verkörperung
finden. Aus Hegels Analyse in der Rechtsphilosophie läßt sich
zumindest soviel lernen: Ein moderner Staat, der den Systemen der
Familie und der bürgerlichen Gesellschaft, den Sphären des Privat-
rechts und des Privatwohls, nicht ihre relative Autonomie läßt,
kann nicht die Verwirklichung konkreter Freiheit sein.
9 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von Eva Mol-
denhauer und Karl Markus Michel, Band 7, Frankfurt 1970, S. 406f.
10 Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der veränderten Einschätzung der Franzö-
sischen Revolution. Während sie einst den jugendlichen Freiheitsenthusias-
mus stimulierte, steht sie jetzt eher für einen Freiheitsfanatismus, der keine
Gliederung zulasse und ein Abstraktes wolle. Wo dies aber der Fall sei, müsse
der Befreiung die Schreckenszeit folgen. Denn die abstrakte Freiheit kehre sich
gegen das Besondere. Vgl. ebd., S. 52 (§ 5, Zusatz). Über Hegels komplexes Ver-
hältnis zur Französischen Revolution die klassische Studie von Joachim Ritter,
Hegel und die französische Revolution, Frankfurt 1965.
Wolfgang Schluchter
sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils überge-
hen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eige-
nen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren End-
zweck tätig sind“. Subjektive und objektive Freiheit, besondere und
allgemeine Interessen greifen ineinander, und der institutionelle
Rahmen dafür ist jetzt der moderne Staat. Dieser aber, so der alte
Hegel, habe darin seine „ungeheure Stärke und Tiefe“, daß er es
ermögliche, „das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen
Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und
zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm
selbst diese zu erhalten.“9
Auf seinem langen Weg vom ältesten Systemprogramm zum
ausgearbeiteten System, zu dem auch die Rechtsphilosophie
gehört, wechselt Hegel also gleichsam die Fronten. Aus dem extre-
men Antiinstitutionalisten der Jugend wird im Alter der eher
extreme Institutionalist.10 Doch bevor man ihn dafür schilt, wie es
dann ja unter anderen der von romantischen Strömungen gleich-
falls nicht unbeeinflußte junge Marx tat, sollte man für unser
Thema festhalten: Hegel bejaht nicht nur das Prinzip der Subjek-
tivität und die damit einhergehende subjektive oder individuelle
Freiheit, er bindet ihre Verwirklichung auch an ein Modell institu-
tioneller Differenzierung, das auf der Idee vom Eigenrecht institu-
tionell verfaßter Eebenssphären beruht. Nicht nur die objektive,
auch die subjektive Freiheit, nicht nur die allgemeinen, auch die
besonderen Interessen müssen eine institutionelle Verkörperung
finden. Aus Hegels Analyse in der Rechtsphilosophie läßt sich
zumindest soviel lernen: Ein moderner Staat, der den Systemen der
Familie und der bürgerlichen Gesellschaft, den Sphären des Privat-
rechts und des Privatwohls, nicht ihre relative Autonomie läßt,
kann nicht die Verwirklichung konkreter Freiheit sein.
9 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von Eva Mol-
denhauer und Karl Markus Michel, Band 7, Frankfurt 1970, S. 406f.
10 Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der veränderten Einschätzung der Franzö-
sischen Revolution. Während sie einst den jugendlichen Freiheitsenthusias-
mus stimulierte, steht sie jetzt eher für einen Freiheitsfanatismus, der keine
Gliederung zulasse und ein Abstraktes wolle. Wo dies aber der Fall sei, müsse
der Befreiung die Schreckenszeit folgen. Denn die abstrakte Freiheit kehre sich
gegen das Besondere. Vgl. ebd., S. 52 (§ 5, Zusatz). Über Hegels komplexes Ver-
hältnis zur Französischen Revolution die klassische Studie von Joachim Ritter,
Hegel und die französische Revolution, Frankfurt 1965.