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Fuhrmann, Manfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 4. Abhandlung): Alexander von Roes - ein Wegbereiter des Europagedankens?: vorgetragen am 16. Februar 1991 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48173#0016
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Manfred Fuhrmann

möchten aber nicht über ihre Nachbarn zu herrschen. Die Asiaten
wiederum zeichneten sich durch Intelligenz und handwerkliches
Können aus; sie müssten jedoch wegen ihrer Feigheit ein Sklaven-
dasein führen. Die Griechen endlich nähmen wie in geographi-
scher so auch in charakterlicher Hinsicht die richtige Mitte ein: sie
seien mutig und intelligent, daher frei und - wenn sie sich zu einem
Staat zusammenschlössen - imstande, über alle anderen zu herr-
schen.19 Hier wird das Europamotiv der hippokratischen Klima-
lehre geradezu destruiert: Aristoteles will sich und seine Lands-
leute nicht nur von den Asiaten, sondern auch von den übrigen
Europäern unterschieden wissen.
Der Redelehrer Isokrates knüpft, sooft er von Europa spricht, an
die Zeit der Perserkriege, an deren Reflex im Werke Herodots an,
wobei er geflissentlich außer acht läßt, daß Herodot mit dem
Begriffspaar Asien - Europa eine persische Betrachtungsweise wie-
dergegeben hatte. Das politische Programm, für das er zeit seines
Lebens in seinen Flugschriften warb, lautete: Kampf der vereinig-
ten Griechen gegen Persien, wenn möglich, unter der Führung
Athens und Spartas, sonst unter der Führung einer befreundeten
Macht, etwa Philipps von Makedonien. Eine Lobrede auf Helena
feiert den trojanischen Krieg als das Urbild westöstlicher Aus-
einandersetzungen: die Beteiligten hätten nicht für Menelaos oder
Paris, sondern für die Griechen oder die Barbaren, für Europa oder
Asien Partei ergriffen; Europas erstes Siegesmai in Asien habe die
griechische Freiheit begründet.20 Andere Reden bedauern Europas
Abfall von der einstigen, durch Athen verbürgten Größe und ent-
rüsten sich über die wirtschaftliche Blüte Asiens; Isokrates treibt
zum Krieg gegen Persien an, wobei es gelte, den einstigen Wohl-
stand von Asien nach Europa zurückzuholen.21 Wie ersichtlich,
fungiert hier der Europa-Name als Bestandteil eines politisch-mili-
tärischen Programms. Ihm kommt indes kein eigener Appellwert
zu, keine eigene integrative Kraft; er ist nichts als ein Synonym für
Griechenland, als Zitat herbeigeholt aus dem mittlerweile ‘klassi-
schen’ Werk Herodots.22
19 Politik 7,6 1327 b 23 ff.
20 Helena 51 und 67. Hierzu und zum Folgenden s. A. Momigliano, „Europa als
politischer Begriff bei Isokrates“, in Isokrates, hrsg. von F. Seck (Wege der For-
schung 351), Darmstadt 1976, S. 128 ff.; dort auch über den Europa-Begriff bei
Ephoros und Theopomp, den Schülern des Isokrates.
21 Panegyrikos 187; Philippos 132; Panathenaikos 47.
 
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