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Niederquell, Theodor [Bearb.]; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 14 : Heidelberger Reihe ; Band 5): Die Inschriften der Stadt Fritzlar — München: Druckenmüller, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.53159#0015
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Historischer Überblick

Eine Reihe von Erwägungen, gestützt besonders auf Erkenntnisse der frühfränkischen Geschichte, der
Topographie, der Verkehrsgeographie und der Ortsnamenforschung vermögen wahrscheinlich zu machen,
daß bereits eine befestigte Ansiedlung aus merowingischer Zeit vorhanden war, als der Heilige Boni-
fatius im Jahre 724 eine geistliche Niederlassung in Fritzlar gründete. Die erste Phase der Geschichte dieser
Gründung bis zur Zerstörung durch die Sachsen 774, bei der die Kirche in wunderbarer Weise errettet
sein soll, ist relativ gut durch eine günstige Quellenlage bekannt. Die offenbar als Folge der Zerstörung
geschehene Übertragung der Benediktinerabtei - einer Mainzer Eigenkirche - an den König und der
Ausbau der Befestigung zur Pfalz in enger örtlicher und geistiger Verbindung mit der bonifatianischen
Gründung sicherten Fritzlar eine gewichtige Position als Vorort des Königtums in Hessen. Das Fort-
bestehen dieser glanzvollen Stellung über die karolingische Zeit hinaus wird unterstrichen durch die in
Fritzlar vorgenommene Wahl Heinrichs I. zum Deutschen König und eine Reihe von weiteren Reichs-
versammlungen und Königsaufenthalten. Fritzlar blieb Reichsbesitz, bis es unter Heinrich IV. dem Erz-
bistum Mainz überlassen wurde. Besitz, Rechte und Einfluß des im 10.Jahrhundert ausgestorbenen
hessisch-konradinischen Grafenhauses in und um Fritzlar sind zwar urkundlich gesichert, jedoch erlaubt die
schlechte Überlieferung dieser Periode für die Ansiedlung und die Abtei keine genauere Umschreibung.
1079 erfolgte eine zweite Zerstörung Fritzlars im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Heinrich IV.,
der beim Übertritt des Erzbischofs Siegfried von Mainz zur Gegenpartei den vergabten Ort wieder besetzt
hatte, und seinen sächsischen Gegnern. Dann aber wurde nach einer durch die politischen Zustände im
Reich bedingten Pause der Wiederaufbau mit Unterstützung des nun unangefochtenen Ortsherren, des
Erzbischofs von Mainz, ins Werk gesetzt. Schon vorher hatte die Umwandlung der Benediktinerabtei
in ein Kollegiatstift stattgefunden, der genaue Zeitpunkt, der Initiator oder eine mögliche aktuelle Veran-
lassung dazu sind unbekannt. Ebenfalls in die Zeit vor der zweiten Zerstörung geht der Beginn der Ent-
wicklung der Marktansiedlung um Pfalz und Abtei zur Stadt zurück. Von dieser Zeit an sind die Kräfte,
die das historische Profil Fritzlars bis zum Ende des Alten Reichs geprägt haben, neben den Organen des
Landesherrn das Stift und die im Jahre 1180 zum ersten Male als civitas bezeichnete Stadt gewesen. Beide
konnten auf weitgehende Förderung durch den Erzbischof rechnen, als zu Beginn des 12. Jahrhunderts
Fritzlar zum Mittelpunkt der territorialen Bestrebungen gegen das thüringische Dynastenhaus in Hessen
von Mainz aus gemacht wurde. Die Stadt erfuhr über den Bereich des Stiftes und der zerstörten Pfalz
hinaus nach Norden eine Erweiterung um einen Marktplatz, den organisierten Zuzug einer kapital-
kräftigen Kaufmannschaft und ihre rechtliche und wirtschaftliche Ausbildung zur selbständigen Kor-
poration. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts kam die heute noch größtenteils erhaltene Um-
mauerung wohl auf einer älteren Grundlage hinzu. Das Stift blieb gegenüber diesem Aufstieg der Stadt
etwas im Hintergrund, jedoch wurde seine Ausstrahlung wesentlich verstärkt durch die Übertragung des
Archidiakonats für den größten Teil Niederhessens an den Propst, dessen geistliche Gerichtsbarkeit zu
Beginn des 13.Jahrhunderts in erhöhtem Maße wirksam wird. Die sich verschärfende Auseinandersetzung
um territoriale Rechte im hessischen Bereich führte 1232 zu einer dritten Zerstörung von Fritzlar durch den
Landgrafen Konrad von Thüringen, die aber keine erhebliche Unterbrechung der Weiterentwicklung
von Stift und Stadt darstcllt, sondern eher eine Konsolidierung der Verhältnisse bewirkte und die äußere
Erscheinung noch eindrucksvoller gestaltete, die sich im Prinzip bis ins 19. Jahrhundert erhalten hat.
Die spätmittelalterliche Geschichte von Fritzlar verlief ohne einschneidende Ereignisse. Der Erzbischof
wußte durch seine Organe beim Stift (den Kommissar) und bei der Stadt (den Schultheiß) seine Belange
zu wahren und Emanzipationsgelüste beider Institutionen bei wachsendem Wohlstand zu unterbinden.
Dazu war er am Ort vertreten durch den in der erzbischöflichen Burg residierenden Amtmann, der den
Schutz seiner Hoheitsrechte nach außen und innen erfolgreich übernehmen konnte. Die gelegentliche
Unvereinbarkeit der Interessen von Stift und Stadt wurde zudem gemildert durch den personellen Zu-
sammenhang, der immer durch die Anwesenheit von Söhnen bedeutender Patrizierfamilien im Kapitel ge-
geben war. Die fortschreitende Verfestigung der Verfassungszustände im späten Mittelalter trug weiterhin
dazu bei, daß ein korrektes Nebeneinander gewährleistet wurde.
Neben dem Petersstift war der Konvent der Franziskaner (später der Minoriten, zur Kölnischen
Ordensprovinz gehörig) seit 1237 die bedeutendste geistliche Niederlassung. Hinzu kam das um die Mitte
des 13. Jahrhunderts in ein Augustinernonnenkloster umgewandelte Marienhospital zwischen Altstadt
und Eder (nach Aufhebung während der Reformation, längerer Verödung und Verpfändung wurden die
Gebäude 1710 mit Ursulinen besetzt, in deren Besitz sich der Komplex noch befindet) und die nach Art
eines Halbstiftes organisierte Korporation der Altaristen der gesamten Stadt, die ihren Sitz seit 1463 an
der Johanneskapelle am oberen Friedhof hatte. Bedeutende Höfe in der Stadt besaßen die Zisterzienser
von Haina und Hardehausen und der Deutsche Orden, Ballei Hessen. Ein schon 1284 genanntes städtisches

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