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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]; Niederquell, Theodor [Bearb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 14 : Heidelberger Reihe ; Band 5): Die Inschriften der Stadt Fritzlar — München: Druckenmüller, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.53159#0016
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Hospital vor dem Werkeltor wurde 1308 an die Eder vor das Wintertor der Neustadt verlegt, dem Heili-
gen Geist geweiht und mit Pfarrechten ausgestattet. Eine eigene Pfarrkirche wurde von der sonst so
selbstbewußten Gemeinde nie errichtet, die Pfarrgottesdienste wurden am Pfarraltar in der Stiftskirche
von den aus der Zahl der Altaristen bestellten Stiftspfarrern gehalten.
Die Neustadt, die aus einer Ansiedlung um das Marienhospital, das spätere Augustinerinnenklostcr,
erwuchs, ist 1280 als eigene Stadt und Pfarrgcmcinde genannt. Trotz erzbischöflicher Privilegien und Um-
mauerung hat sic hauptsächlich wegen der ungünstigen Lage eingeklemmt zwischen dem Südabhang
der Altstadt und der Eder, entfernt von der großen Durchgangsstraße keine konkurrierende Bedeutung
neben der Altstadt erringen können, der sie nach einem Brand im Jahre 1464 einverleibt wurde.
Schon seit dem 15. Jahrhundert wird ein Schwinden der Bedeutung des Stifts spürbar, bedingt durch
das Nachlassen der Wirtschaftskraft bei der beginnenden Umstellung von der Natural- zur Geldwirt-
schaft und durch ein energisches Angehen der Landgrafen gegen die auswuchernde geistliche Gerichts-
barkeit auf hessischem Territorium. Der Propst, der durch seine persönliche Anwesenheit der Kompetenz-
beschränkung vielleicht hätte steuern können, ließ seine Amtsfunktionen durch Stellvertreter wahrneh-
men, innerhalb des Stifts durch den Dekan, außerhalb durch den Offizial, und war durch den unver-
änderten Genuß der Einkünfte, die er anderswo verzehrte, nur noch eine Belastung. Der Beginn der Refor-
mation jedoch brachte katastrophale Auswirkungen für das Stift. Die erste unmittelbare Folge des Abfalls
vom Alten Glauben in den benachbarten Territorien von Hessen und Waldeck war der Verlust aller Ein-
künfte aus diesen Bereichen. Man wurde praktisch auf den Besitz der beiden Stiftsdörfer Rothelmshausen
und Ungedanken beschränkt, einer Wirtschaftseinheit, die bis in jüngste Zeit durch besondere Dürf-
tigkeit von anderen Orten derselben Größenordnung in der näheren Nachbarschaft abstach. Gleichzeitig
schrumpfte der Einzugsbereich der geistlichen Gerichtsbarkeit auf die kurmainzischen Ämter in Nieder-
hessen zusammen.
Anders die Stadt; ihre wirtschaftliche Blüte wurde durch den Konfessionswechsel der hessischen
Nachbarschaft nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern gefördert, da durch den Übertritt der Bürger-
schaft zur Reformation gleichsam der Anschluß an ein größeres Wirtschaftssystem gewonnen wurde.
Die Mainzer Behörden am Ort waren wohl mehr unwillig als unfähig, etwas gegen diese Entwicklung
zu unternehmen, und so rückte die Möglichkeit in greifbare Nähe, daß mit der veränderten Konfession
auch ein Wechsel der politischen Zugehörigkeit Hand in Hand ging. Erst die Niederlage der Protestanten
im Schmalkaldischen Kriege und der vorläufige Ausgleich der Spannungen im Reiche durch den Augs-
burger Religionsfrieden beseitigten diese Gefahr. Dennoch sah sich der neugewählte Erzbischof Daniel
Brendel von Homburg noch genötigt, der Stadt Fritzlar mit ihren Privilegien die Zugehörigkeit zur Augs-
burger Konfession zu bestätigen.
Die durchaus nachweisbaren protestantischen Regungen unter den Fritzlarer Kanonikern waren nicht
erheblich genug, um die altgläubige Kontinuität des Petersstifts zu unterbrechen. Hier besaß der Landes-
herr eine Ausgangsbasis zur völligen konfessionellen und politischen Wiedereingliederung der Stadt in
das Kurfürstentum. Er stärkte die wirtschaftliche Grundlage durch Aufhebung der Propstei und wies deren
Einkünfte der Kirchenfabrik zu. Die durch den Übertritt der hessischen Ritterschaft und des ratsfähigen
Bürgertums der hessischen Städte einschließlich Fritzlars entstandenen Lücken im Kreise der Anwärter auf
Kanonikate des Petersstifts füllte er durch Provisionen für Geistliche, bei denen ein erfolgreiches Wirken im
Sinne des in Trient auf neue Grundlagen gestellten Katholizismus vorausgesetzt werden konnte. Da-
mals werden wiederholt Altaristen mit Kanonikaten ausgestattet. Den Einfluß des kurfürstlichen Oberamt-
manns als Vertreters der Landesherrschaft, der als einziger realen Druck auf die Bürgerschaft ausüben
konnte, vergrößerte er durch Ausweitung seiner jurisdiktionellen Kompetenzen zum Nachteil der Propstei-
gerichtsbarkeit, der nur die wirtschaftlich uninteressanten und politisch einflußlosen Fornikationsfälle
unter dem Namen der Offizialatsgerichtsbarkeit blieben. Mit besonderer Rücksichtnahme auf die schwie-
rigen Verhältnisse der Exklave Fritzlar und großer Vorsicht in konfessioneller Hinsicht ist man von Mainz
aus vorgegangen. Endgültig hat erst die Vernichtung der Wirtschaftskraft der Stadt durch den 30jährigen
Krieg die völlige Reintegration in das Kurfürstentum ermöglicht.
Die lange Friedenszeit von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre des 17. in Hessen
bewirkte einen Aufschwung auf allen Gebieten von Kunst und Wissenschaft. Auch Fritzlar hat an dieser
Blüte teilgehabt. Der größte Teil der Häuser am Marktplatz und der Marktbrunnen sind damals errichtet
worden und als prächtigstes öffentliches Gebäude das Hochzeitshaus an Stelle des alten Hofes der Abtei
Haina. In der vorliegenden Inschriftensammlung macht sich diese Periode durch die zunehmende Zahl
und Qualität der Grabdenkmäler bemerkbar, die wachsende Bildung durch lateinische Grabschriften
auch in den Kreisen des neuaufgestiegenen, ratsfähigen Bürgertums. Das Stift war zu größeren Bauvor-
haben kaum in der Lage, machte aber ebenfalls Anstrengungen bei der Anschaffung von Ausstattungs-
gegenständen und stand der Bürgerschaft bei der Errichtung von Grabdenkmälern kaum nach. Dieser
Abschnitt wurde durch den 30jährigen Krieg beendet, der jede Kunstäußerung fast völlig lahmlegte.

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