der Monumentalschrift immer wieder neu erarbeiten müssen. Das leuchtet ohne weiteres ein, weil der
„Bescbreibstoff “ nicht mobil ist, also nicht von einem Ort zum anderen transportabel ist. Alle Anregungen
für eine Schriftentwicklung können nur mit großer zeitlicher Verzögerung und mitunter auch nur
mittelbar, also ohne persönliche Anschauung weitergegeben werden. Abhängigkeitsfragen undWerkstatt-
zusammenhänge bewegen sich daher in viel engeren Grenzen, als dies bei Handschriften der Fall ist.
Frühe Majuskelschrifien
Im Bearbeitungsgebiet des ehemaligen Landkreises Mannheim haben sich aus der Zeit vor dem
Einsetzen der gotischen Majuskel drei Inschriften erhalten, davon zwei im Original, eine in zuverlässiger
Nachzeichnung. Aus dem nördlichen Teil des ehemaligen Landkreises Sinsheim sind Inschriften vor dem
14. Jahrhundert nicht erhalten. Das wird kaum ein Zufall in der Streuung der Überlieferung sein, sondern
spiegelt sicher die historischen Gegebenheiten wider: die Orte längs der Bergstraße befanden sich in näherer
Nachbarschaft zu den kulturellen Zentren und waren ihnen enger verbunden, daher auch ihren Ausstrah-
lungen weit eher offen als der abgelegene Kraichgau. Die im Formular äußerst knapp gehaltene Grabschrift
des Abbo (nr. 1), die heute - sozusagen als „Memorienstein“31) - in die Außenwand der Kirche von Alt-
lußheim eingemauert ist, dürfte noch im 10. Jahrhundert entstanden sein. Die Kapitalis zeigt nur zweimal
eine unziale Form für U, die Hastenendcn sind keilförmig verdickt, zuweilen schon gespornt. Die B uchstaben
laufen breit, das A hat zweimal einen weit nach links übergreifenden Deckstrich, eine mehrfach aus dieser
Periode zu beobachtende Erscheinung32). Die eingeschriebenen Buchstaben und kaum durchgeführte
Worttrennung33) sind auch für andere Inschriften des Mittelrheingebietes im 10. Jahrhundert belegt. Das
sprachliche Formular verweist auf die gleiche Zeit. Der scheinbar singuläre Stein dürfte auf Speyerer Ein-
fluß zurückzuführen sein. - Zwei weitere Inschriften aus früher Zeit sind in Weinheim zu lokalisieren.
Eine von ihnen (nr. 2) ist heute nur noch in einer zuverlässigen Nachzeichnung aus dem Anfang des 20.
Jahrhunderts überliefert (1910), das Original ist spätestens seit 1950 verschollen34). Bei dem Fragment aus
dem alten Bau der Weinheimer Peterskirche dürfte es sich um den Rest eines Grabsteines gehandelt haben.
Die Schrift läßt sich an einem Bestand von 10 verschiedenen Buchstaben beurteilen, sie erweist sich als eine
sehr regelmäßige Kapitalis ohne jegliche Schmuckzutat. Unziale Formen kommen nicht vor, allerdings
sind die Buchstaben, bei denen das Eindringen unzialer Formen am frühesten zu beobachten ist (E, G)
nicht vertreten. Die imWorte idus verwendete Kürzung für das S ist ebenso wie der Querstrich durch den
zweiten Schaft des N als Kürzung für Januarii im 11. und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nachzu-
weisen35). Für die deutlich abgeschnittenen Fußpunkte des V und - weniger markant - des N gibt es gele-
gentlich Parallelen36). Eine Datierung erscheint gewagt, zumal die persönliche Anschauung der Schrift
und ihrer Schlagtechnik fehlt und auch der Inhalt zu dürftig ist, um mehr als vage Anhaltspunkte zu bieten.
Nach der überlieferten Zeichnung möchte man die Schrift eher noch dem 11. Jahrhundert zuweisen als
einer späteren Zeit. Da die alte Weinheimer Peterskirche in ihrer frühesten Anlage mindestens auf das Jahr
1000 zurückgeht - Fundamente dieser Epoche wurden beim Abbruch 1910 freigelegt -, ist eine Grab-
schrift dieser Zeit denkbar; die offenbar sehr sorgfältig und breit angelegte Schrift mit gespornten Scheitel-
und Fußpunkten könnte an Lorscher Einfluß denken lassen, was durch die Abhängigkeit der Weinheimer
Peterskirche von Kloster Lorsch leicht zu erklären wäre37). Ebenfalls aus der Weinheimer Peterskirche
stammt der Grabstein des Hildebertus (nr. 3). Gegenüber den beiden vorher besprochenen Steinen weist
seine Schrift eine schlankere Form auf, die Einzelbuchstaben sind aus hochrechteckiger, nicht aus quadra-
tischer Grundform entwickelt. Unziale Elemente können außer Betracht bleiben, das unzial erscheinende
E im Wort Hildebertus erweist sich bei genauem Hinsehen als spätere Überarbeitung. Die sehr feinstichige
31) Vgl. dazu G.Binding, Eine Gruppe romanischer Grabsteine (Mcmoriensteine) im Erzbistum Köln, in: Zeit-
schrift für Archäologie des Mittelalters 2 (1974) 41 ff. - Der Ausdruck „Memorienstein“ wird hier im Anschluß an
Binding verwendet, er trifft sachlich für den Abbo-Stein zunächst nicht zu, der erst durch Zweitverwendung gewisser-
maßen diese Bedeutung bekommt.
32) R. Conrad, Niederrheinischc Epigraphik 24.
33) EineWorttrennung ist im Grunde nur bei der Mittclzeile - Namensnennung und Tagesangabe - zu beobachten,
die vielleicht auf diese Weise besonders augenfällig gemacht werden sollte.
34) Die Nachzeichnung wurde seinerzeit beim Abbruch der Peterskirche vom damaligen Großherzoglichen
Konservator angefertigt. Buchstabengröße nach der Zeichnung 3 cm, vgl. die Abb. Der Stein war 1950 noch im Hof
derWeinheimer Gewerbeschule und wurde wahrscheinlich bei der Verbringung der Steine ins Museum bzw. in den
Schloßpark in Unkenntnis seines Alters als Fragment ausgeschieden.
3ä) Ehrentraut, Bleierne Inschriftentafeln S. 79 (1039); ebd. S. 88 (1105).
36) Vgl. Bauer, Mainzer Epigraphik Abb. 43.
37) Lorscher Besitz in Weinheim ist spätestens seit dem 8. Jahrhundert belegt; für die Besitzverhältnisse der
Peterskirche in früher Zeit gibt es keine gesicherten Daten; vgl. AmtlKreisbeschreibung III 911.
XVII
„Bescbreibstoff “ nicht mobil ist, also nicht von einem Ort zum anderen transportabel ist. Alle Anregungen
für eine Schriftentwicklung können nur mit großer zeitlicher Verzögerung und mitunter auch nur
mittelbar, also ohne persönliche Anschauung weitergegeben werden. Abhängigkeitsfragen undWerkstatt-
zusammenhänge bewegen sich daher in viel engeren Grenzen, als dies bei Handschriften der Fall ist.
Frühe Majuskelschrifien
Im Bearbeitungsgebiet des ehemaligen Landkreises Mannheim haben sich aus der Zeit vor dem
Einsetzen der gotischen Majuskel drei Inschriften erhalten, davon zwei im Original, eine in zuverlässiger
Nachzeichnung. Aus dem nördlichen Teil des ehemaligen Landkreises Sinsheim sind Inschriften vor dem
14. Jahrhundert nicht erhalten. Das wird kaum ein Zufall in der Streuung der Überlieferung sein, sondern
spiegelt sicher die historischen Gegebenheiten wider: die Orte längs der Bergstraße befanden sich in näherer
Nachbarschaft zu den kulturellen Zentren und waren ihnen enger verbunden, daher auch ihren Ausstrah-
lungen weit eher offen als der abgelegene Kraichgau. Die im Formular äußerst knapp gehaltene Grabschrift
des Abbo (nr. 1), die heute - sozusagen als „Memorienstein“31) - in die Außenwand der Kirche von Alt-
lußheim eingemauert ist, dürfte noch im 10. Jahrhundert entstanden sein. Die Kapitalis zeigt nur zweimal
eine unziale Form für U, die Hastenendcn sind keilförmig verdickt, zuweilen schon gespornt. Die B uchstaben
laufen breit, das A hat zweimal einen weit nach links übergreifenden Deckstrich, eine mehrfach aus dieser
Periode zu beobachtende Erscheinung32). Die eingeschriebenen Buchstaben und kaum durchgeführte
Worttrennung33) sind auch für andere Inschriften des Mittelrheingebietes im 10. Jahrhundert belegt. Das
sprachliche Formular verweist auf die gleiche Zeit. Der scheinbar singuläre Stein dürfte auf Speyerer Ein-
fluß zurückzuführen sein. - Zwei weitere Inschriften aus früher Zeit sind in Weinheim zu lokalisieren.
Eine von ihnen (nr. 2) ist heute nur noch in einer zuverlässigen Nachzeichnung aus dem Anfang des 20.
Jahrhunderts überliefert (1910), das Original ist spätestens seit 1950 verschollen34). Bei dem Fragment aus
dem alten Bau der Weinheimer Peterskirche dürfte es sich um den Rest eines Grabsteines gehandelt haben.
Die Schrift läßt sich an einem Bestand von 10 verschiedenen Buchstaben beurteilen, sie erweist sich als eine
sehr regelmäßige Kapitalis ohne jegliche Schmuckzutat. Unziale Formen kommen nicht vor, allerdings
sind die Buchstaben, bei denen das Eindringen unzialer Formen am frühesten zu beobachten ist (E, G)
nicht vertreten. Die imWorte idus verwendete Kürzung für das S ist ebenso wie der Querstrich durch den
zweiten Schaft des N als Kürzung für Januarii im 11. und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nachzu-
weisen35). Für die deutlich abgeschnittenen Fußpunkte des V und - weniger markant - des N gibt es gele-
gentlich Parallelen36). Eine Datierung erscheint gewagt, zumal die persönliche Anschauung der Schrift
und ihrer Schlagtechnik fehlt und auch der Inhalt zu dürftig ist, um mehr als vage Anhaltspunkte zu bieten.
Nach der überlieferten Zeichnung möchte man die Schrift eher noch dem 11. Jahrhundert zuweisen als
einer späteren Zeit. Da die alte Weinheimer Peterskirche in ihrer frühesten Anlage mindestens auf das Jahr
1000 zurückgeht - Fundamente dieser Epoche wurden beim Abbruch 1910 freigelegt -, ist eine Grab-
schrift dieser Zeit denkbar; die offenbar sehr sorgfältig und breit angelegte Schrift mit gespornten Scheitel-
und Fußpunkten könnte an Lorscher Einfluß denken lassen, was durch die Abhängigkeit der Weinheimer
Peterskirche von Kloster Lorsch leicht zu erklären wäre37). Ebenfalls aus der Weinheimer Peterskirche
stammt der Grabstein des Hildebertus (nr. 3). Gegenüber den beiden vorher besprochenen Steinen weist
seine Schrift eine schlankere Form auf, die Einzelbuchstaben sind aus hochrechteckiger, nicht aus quadra-
tischer Grundform entwickelt. Unziale Elemente können außer Betracht bleiben, das unzial erscheinende
E im Wort Hildebertus erweist sich bei genauem Hinsehen als spätere Überarbeitung. Die sehr feinstichige
31) Vgl. dazu G.Binding, Eine Gruppe romanischer Grabsteine (Mcmoriensteine) im Erzbistum Köln, in: Zeit-
schrift für Archäologie des Mittelalters 2 (1974) 41 ff. - Der Ausdruck „Memorienstein“ wird hier im Anschluß an
Binding verwendet, er trifft sachlich für den Abbo-Stein zunächst nicht zu, der erst durch Zweitverwendung gewisser-
maßen diese Bedeutung bekommt.
32) R. Conrad, Niederrheinischc Epigraphik 24.
33) EineWorttrennung ist im Grunde nur bei der Mittclzeile - Namensnennung und Tagesangabe - zu beobachten,
die vielleicht auf diese Weise besonders augenfällig gemacht werden sollte.
34) Die Nachzeichnung wurde seinerzeit beim Abbruch der Peterskirche vom damaligen Großherzoglichen
Konservator angefertigt. Buchstabengröße nach der Zeichnung 3 cm, vgl. die Abb. Der Stein war 1950 noch im Hof
derWeinheimer Gewerbeschule und wurde wahrscheinlich bei der Verbringung der Steine ins Museum bzw. in den
Schloßpark in Unkenntnis seines Alters als Fragment ausgeschieden.
3ä) Ehrentraut, Bleierne Inschriftentafeln S. 79 (1039); ebd. S. 88 (1105).
36) Vgl. Bauer, Mainzer Epigraphik Abb. 43.
37) Lorscher Besitz in Weinheim ist spätestens seit dem 8. Jahrhundert belegt; für die Besitzverhältnisse der
Peterskirche in früher Zeit gibt es keine gesicherten Daten; vgl. AmtlKreisbeschreibung III 911.
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