Nürnberg II
gegen solcher gabe und gnade solt je aller leiblicher
schmerz und krankheit nichts sein und, wo es müg-
lich, soltest du ee dich tausentmal krenker wün-
schen, ee du solches großen schatzes entberen sol-
test.
Darumb so lerne hie dise unterschid und übe deine
dialecticam9 und sage: Gottes gedanken und will ist
der, das ich in seinen Sun Jesum Christum glauben
soll. Darzu hat mir Gott seinen Heiligen Geist ge-
schenkt. Denn one den Heiligen Geist, könt ich solche
gedanken von Christo nit haben, das er (wie ich
glaub) mir von Gott geschenkt und für mich gestor-
ben sei. Zum zeugnus aber solches glaubens bin ich
getaufet und durch solche tauf ein glid seines geist-
lichen leibes worden.
Ob nun des Teufels gedanken dagegen einfallen
(R: 2. Christenmüssenanfechtungleidens.), so mach
die unterschid und sprich: Ich bin getaufet und
glaube in Christum. Darumb muß auch folgen, was
ich im namen Christi bit, das Got mich hören will,
wie Christus sagt: Ich sag nit, das ich den Vater für
euch bitten will; denn er selb der Vater hat euch lieb
[Joh. 16,26f.]. hAber damit hat mich Got nit ge-
freiet, das ich gar nichts leiden sol. Lieb hat er mich,
wie ein vater sein kind lieb hat. Aber er pflegt seine
lieb ein zeitlang verborgenh, das es scheinet, als
zürne er mit mir und wölle mich nit erhören. Das
ist sein weis mit uns zu handeln und ist ein rechte
götliche weise, wie der 97.Psalm [2] sagt: Wolken
und dunkel ist umb in her, und am 18.[12]: Sein ge-
zelt umb in her ist finster und schwarze, dicke wol-
ken, darin er verborgen ist, und Paulus 1. Cor. 13 [12]:
Wir sehen jetzt durch einen spiegel in eim dunkeln
wort. Denn aber von angesicht zu angesicht. Wir
können in nit unter augen sehen, sonder müssen im
in den rücken sehen [2.Mos. 33,18-23].
Darumb, mein lieber brueder, lerne! Du bist jetzt
in einer solchen schulen, da du die lehr vom glauben
lernen solst, nit speculative10 aus den büchern, wie
bisher, sondern practice11 und in dem werk. Es
dunkt dich wol, Gott wölle dein nit. Das ist allen
menschen von natur. Sie fallen gleich in sünde oder
g Fehlt vor 1545.
h-h Vor 1545 : Ob er nun solche lieb ein zeit lang ver-
birget, i-i Vor 1545: paulum.
j Fehlt vor 1545.
leiden, krankheit und widerwertigkeit, so ist diser
zuschlag allweg dabei, daß man denket, Gott zür-
net. Und der Teufel hilft auch dazu. Wenn du in sol-
cher not anfahen und beten wilt, bleset er immer in
das herz: Ach, es hilft nit. Es solt doch je sonst bes-
ser werden etc. Das ist ein anfechtung, die du nit
allein hast, sonder ich muß sie schier teglich leiden
und andere christen auch. Wie soll man ihm denn
tun ? Also: Das wir denken, wir sind zu solchem
kampf berufen; denn alsbald wir die heiligen tauf
empfangen haben, da hat uns Got an dise spitzen
gestellet. Er will uns aber darumb nit allein lassen
noch von uns weichen; denn so wir solche anfech-
tung und beschwerliche gedanken nit solten fülen,
so würden wir nimmer mer wissen noch erfarn, was
Christus wer.
Darumb so lerne, dich wider solche anfechtung
auflehnen und sprich: Mein fleisch helt es wol da-
für, als sei mir Gott feind und achte mein nit, weil
er mich so jemmerlich ligen und martern lest. Aber
ich bin ein christ und glaube an Christum. Disen
schatz hab ich und solt es dem Teufel leid sein. Will
mich derhalb solches schatzes mer trösten, denn
mich mein krankheit und jammer schrecken soll.
Wenn der Teufel nit so zuschlüge und den für-
nembsten artikel unsers glaubens nit so angriffe, so
würde die krankheit und andere anfechtung nit so
weh tun. Darumb so lerne, wie du im begegnen und
dich trösten solt, und sprich: Wenn mich gleich Gott
sterben lest, dennoch will ich mein herz und ver-
trauen auf ihn setzen. Das solt du, Teufel, mir nit
wehren. Denn das er seinen Sun mir geschenkt hat,
das ist ein zeichen, das ers mit mir nit bös meint,
sonder auf das allerbest.
Nun ist es aber nit möglich, daß man solche kunst
so bald könne, sondern wie man sagt: Oportet hic
ipaululumi studere, imo multum et diu studere, man
muß lang dran lernen (R: Exempel mit Hiob).
Denn sihe den heiligen Hiob an! Der murret am
ersten heftig wider Got und sagt: Versus es mihi in
crudelem. Du bist mir verwandlet in ein grausamen
und zeigst deinen haß gegen mir mit der sterke dei-
9 = Disputier- = Unterscheidungskunst.
10 = theoretisch. 11 = existentiell.
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gegen solcher gabe und gnade solt je aller leiblicher
schmerz und krankheit nichts sein und, wo es müg-
lich, soltest du ee dich tausentmal krenker wün-
schen, ee du solches großen schatzes entberen sol-
test.
Darumb so lerne hie dise unterschid und übe deine
dialecticam9 und sage: Gottes gedanken und will ist
der, das ich in seinen Sun Jesum Christum glauben
soll. Darzu hat mir Gott seinen Heiligen Geist ge-
schenkt. Denn one den Heiligen Geist, könt ich solche
gedanken von Christo nit haben, das er (wie ich
glaub) mir von Gott geschenkt und für mich gestor-
ben sei. Zum zeugnus aber solches glaubens bin ich
getaufet und durch solche tauf ein glid seines geist-
lichen leibes worden.
Ob nun des Teufels gedanken dagegen einfallen
(R: 2. Christenmüssenanfechtungleidens.), so mach
die unterschid und sprich: Ich bin getaufet und
glaube in Christum. Darumb muß auch folgen, was
ich im namen Christi bit, das Got mich hören will,
wie Christus sagt: Ich sag nit, das ich den Vater für
euch bitten will; denn er selb der Vater hat euch lieb
[Joh. 16,26f.]. hAber damit hat mich Got nit ge-
freiet, das ich gar nichts leiden sol. Lieb hat er mich,
wie ein vater sein kind lieb hat. Aber er pflegt seine
lieb ein zeitlang verborgenh, das es scheinet, als
zürne er mit mir und wölle mich nit erhören. Das
ist sein weis mit uns zu handeln und ist ein rechte
götliche weise, wie der 97.Psalm [2] sagt: Wolken
und dunkel ist umb in her, und am 18.[12]: Sein ge-
zelt umb in her ist finster und schwarze, dicke wol-
ken, darin er verborgen ist, und Paulus 1. Cor. 13 [12]:
Wir sehen jetzt durch einen spiegel in eim dunkeln
wort. Denn aber von angesicht zu angesicht. Wir
können in nit unter augen sehen, sonder müssen im
in den rücken sehen [2.Mos. 33,18-23].
Darumb, mein lieber brueder, lerne! Du bist jetzt
in einer solchen schulen, da du die lehr vom glauben
lernen solst, nit speculative10 aus den büchern, wie
bisher, sondern practice11 und in dem werk. Es
dunkt dich wol, Gott wölle dein nit. Das ist allen
menschen von natur. Sie fallen gleich in sünde oder
g Fehlt vor 1545.
h-h Vor 1545 : Ob er nun solche lieb ein zeit lang ver-
birget, i-i Vor 1545: paulum.
j Fehlt vor 1545.
leiden, krankheit und widerwertigkeit, so ist diser
zuschlag allweg dabei, daß man denket, Gott zür-
net. Und der Teufel hilft auch dazu. Wenn du in sol-
cher not anfahen und beten wilt, bleset er immer in
das herz: Ach, es hilft nit. Es solt doch je sonst bes-
ser werden etc. Das ist ein anfechtung, die du nit
allein hast, sonder ich muß sie schier teglich leiden
und andere christen auch. Wie soll man ihm denn
tun ? Also: Das wir denken, wir sind zu solchem
kampf berufen; denn alsbald wir die heiligen tauf
empfangen haben, da hat uns Got an dise spitzen
gestellet. Er will uns aber darumb nit allein lassen
noch von uns weichen; denn so wir solche anfech-
tung und beschwerliche gedanken nit solten fülen,
so würden wir nimmer mer wissen noch erfarn, was
Christus wer.
Darumb so lerne, dich wider solche anfechtung
auflehnen und sprich: Mein fleisch helt es wol da-
für, als sei mir Gott feind und achte mein nit, weil
er mich so jemmerlich ligen und martern lest. Aber
ich bin ein christ und glaube an Christum. Disen
schatz hab ich und solt es dem Teufel leid sein. Will
mich derhalb solches schatzes mer trösten, denn
mich mein krankheit und jammer schrecken soll.
Wenn der Teufel nit so zuschlüge und den für-
nembsten artikel unsers glaubens nit so angriffe, so
würde die krankheit und andere anfechtung nit so
weh tun. Darumb so lerne, wie du im begegnen und
dich trösten solt, und sprich: Wenn mich gleich Gott
sterben lest, dennoch will ich mein herz und ver-
trauen auf ihn setzen. Das solt du, Teufel, mir nit
wehren. Denn das er seinen Sun mir geschenkt hat,
das ist ein zeichen, das ers mit mir nit bös meint,
sonder auf das allerbest.
Nun ist es aber nit möglich, daß man solche kunst
so bald könne, sondern wie man sagt: Oportet hic
ipaululumi studere, imo multum et diu studere, man
muß lang dran lernen (R: Exempel mit Hiob).
Denn sihe den heiligen Hiob an! Der murret am
ersten heftig wider Got und sagt: Versus es mihi in
crudelem. Du bist mir verwandlet in ein grausamen
und zeigst deinen haß gegen mir mit der sterke dei-
9 = Disputier- = Unterscheidungskunst.
10 = theoretisch. 11 = existentiell.
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