Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0593
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VI 1 Kirchenordnung 1559

dann die armen sünder uf erden, und versehen sich
also mehr lieb zu den heiligen dann zu Christo selbst,
wie solches leider vielfeltig beschehen und noch heu-
tigs tags im bapstumb beschicht.
Die Christen aber, ob sie wol erkennen, das sie
irer natur und sünden halben unwirdig seien, für
Gott zu treten und mit der hohen majestet Gottes
als die würmlin zu reden (R: Psalm 6 [2-4]; 143
[1f.]; Gen. 18 [27]), so bitten sie doch nichts in irer
eignen wirdigkeit (R: Dan. 9 [18]), sonder weil sie
durch den glauben in die unschuld Christi verkleidet
sein. Alles, was sie bitten, das bitten sie umb des
Herrn Christi willen (R: Joan. 16 [23 27]); der sie
durch sein leiden und sterben hat wirdig gemacht,
das sie mit freudigkeit ir notturft von ime bitten
dörfen und seind dessen in iren herzen versichert,
das der himlisch Vater durch Christum viel geneigter
ist inen zu helfen (R: Luc. 11. [2-13]), dann sie zu
beten, wie geschrieben steht (R: Esa. 65 [24]): Ehe
sie ruefen, will ich antworten. Wenn sie noch reden,
will ich hören. Darumb treten sie alsbald in irer not
für den brunnen der gnaden, darinnen auch endlich
geholfen würd uf zeit und weis, wie es Gott nach
seiner ewigen weisheit gefellig und inen am allernütz-
lichsten ist (R: Heb. 5 [6]).
Desgleichen wissen sich auch allein die Christen
in das creuz und alle widerwertigkeit zu schicken
als die durch Gottes wort geleret, wie sie alles creuz
in Christo ansehen sollen. Nemlich: weil Christus
unser Herr das allerschwerest, die sünd und den
fluch, so allein das creuz schwer machen, so sie dar-
auf liegen, am creuz getragen (R: Esai. 53 [4f.];
Gala. 4 [3, 13]) und dieselbige mit seinem leiden und
sterben gebüsset und bezalet, so ergeben sich die
Christen willig und gehorsamlich darunter; dann
das creuz, so inen von Christo uferlegt würd, ist,
wie er selber sagt, ein leichte bürden (R: Math. 11
[30]. Unser sünd flegen nicht mehr darauf, das wir
sie mit unserm creuz solten bezalen; dann wo die-
selbigen noch darauf legen, würde uns solchs creuz
durch die sünd in die hell hinabtrucken, sonder der
Herr hat die sünd, wie Micheas sagt (R: Miche. 7.
[19]), in abgrund des meeres versenkt und will deren
umb Christus seines Sohns willen ewiglich nicht
mehr gedenken wie Ezechiel meldet (R: Ezech. 18
[22]).

Was nun unser lieber Herr Gott für creuz seinen
glaubigen ufleget, ob es gleich den alten Adam sauer
ankompt - dann er ist unleidenlich -, so ist es doch
dem neuen menschen ganz leicht (R: Jacobi 1 [2ff.]),
der durch den Geist Gottes getrieben würd, leidet
alles mit gedult und freuden; dann er weis, das er
in der huld und gnad Gottes ist, durch Christum
(R: Rom. 6 [23]). Darumb erkennet er es auch nicht
als ein straf, sonder als ein väterliche zucht (R:
Prov. 3 [11 f.]; 1. Cor. 11 [32]), die uns nützlich und
notwendig ist, darmit der alt Adam nicht zu mut-
willig werde und die sünd, so uns noch im (R: Rom. 7
[18]) fleisch anklebt (R: Hebr. 12 [1]), untergedruckt
und gedemmet werde. Daher auch S. Jacob schreibt
(R: Jacc. 1 [2f.]): Liebe Brüder, achtet es eitel freude,
wann ir in mancherlei anfechtung fallend, und wis-
set, das euer glaub, so er rechtgeschaffen ist, gedult
wirket. Und die epistel zun Hebreern sagt (R:
Heb. 12 [6ff.]): So ir on zucht seiend, so seid ir ba-
start und nicht kinder; dann welchen der Herr lieb
hat, den züchtigt er. Er steupt aber einen jeglichen
sohn, den er aufnimpt.
Hieraus lernen auch die Christen, wie weit sich
die christlich freiheit erstreckt, von deren Christus
redet (R: Joan. 8 [36]): So euch der Sohn frei ma-
chet, so seid ir frei. Nemlich das sie sich allein er-
streckt in das reich unsers Herrn Jesu Christi (R:
Rom. 6 [16-19]). Dann da wir knecht waren der sün-
den (R: Joan. 8 [34]), des totes, des Teufels und der
verdamnus und schuldig, das gesetz Gottes volkom-
men zu halten, hat uns Christus durch sein aller-
heiligsts leiden von disen herrn allen frei gemacht,
indem er für uns eines knechtes gestalt an sich ge-
nommen, der es für kein raub achtet, Gott gleich
zu sein, und ist dem Vater gehorsam worden bis in
den allerschmehlichsten tod des creuzs (R: Phil. 2
[6ff.]) und uns darmit frei gemacht, das uns das ge-
setz nicht anklagen, die sünd nicht verdammen kön-
nen (R: Rom. 5 [18f.]: Roma. 8 [1f. 31-34], noch
der Teufel, tod, hell und verdamnus einiche herr-
schaft oder gewalt uber die glaubigen hinfüro haben,
ob sie sichs wol oft gern anmaßen wolten (R: Joan.
16 [20]).
Durch diese freiheit aber, wie sie hiufüro Gottes
diener seien, also sind sie auch aller menschen knecht
worden und erzeigen eim jeden in disem eußerlichen,

575
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften