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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0643
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VII 1 Kirchenordnung 1543

nicht vernünftige creaturn, wenn unter uns so gar
keine ordenung, zucht oder erbarkeit in allen dingen
solte gehalten werden. Es wurde also auch das natür-
liche gesetze, das doch ordnung und zucht leret und
die unordenliche handelung nicht lobet, hiermit ge-
dempft. Es wurde Gott selbs und sein wort gelestert;
denn er erfordert von uns eine neue gepurt, neues
leben und heilige gute werke, gehorsam, zucht, liebe.
Es würde auch unser liebes evangelion bei den un-
glaubigen, verstockten menschen geschendet, als das
do alle gute ordnung oder ceremonien nicht könne
zulassen oder leiden, sondern leret nur zerruttunge,
unordenung und, wie ein jeder seines kopfs und sin-
nes müste walten.
Drumb muß man in disen sachen nicht feiren oder
den schwermer etwas nachgeben und einreumen,
sondern drauf sehen, weil es zeit ist, das gute christ-
liche ordnung und ceremonien bleiben und also alle
dinge zur besserung des nechsten fürgenomen und
gehandelt werden. Und in sonderheit sol man be-
denken, das in versamlung der christgleubigen ge-
meine, do das wort Gottes geprediget, die heilige
sacramente gereichet, gewis die heilige Drifaltigkeit
und die liebenheiligenengel gegenwürtig sind. Drumb
wir so desto mehr alles züchtiglich und ordenlichen
handelen sollen, das kein scherz, leichtfertigkeit oder
uberdrus in predigen, singen und lesen gespürt und
vermerkt werde.
Und wolte Gott, es were bei uns allen ein solch
eifer, brunst, freude und liebe zum reinen wort Got-
tes, so solten endlich die kirchenordenung und cere-
monien sich wol finden und nicht ausbleiben. Denn
wer von grund seines herzens nach Gottes wort seuf-
zet und verlangen hat, der wird auch on das sein
leben dohin richten, das alles Gott zu ehren und preis
und dem nechsten zur besserung geschehen möge.
Ich wolt aber wünschen und begeren, das wir auch

2 Von Smyrna, als Märtyrer gestorben 156. Von ihm
ist ein Brief nach Philippi erhalten.
3 Von Antiochien, gestorben um 115 als Märtyrer in
Rom. - Seine Briefe sind hochbedeutsame Zeugnisse
der ältesten Kirche.
4 Um 170 Bischof von Korinth. - Einige Bruchstücke
seiner Briefe sind erhalten.
5 = Anm. 1.
6 Die Historia ecclesiastica tripartita, eine um 550 von
Cassiodor, dem früheren Geheimsekretär Theode-

solche geistreiche, christliche ceremonien und ord-
nung hetten in allen kirchen, wie etwan die lieben
apostel und nach in die eltesten bischof gehabt als
Polycarpus2, Ignatius3, Dionysius4 bei den Corin-
th[ern] etc. Es gieng je zu der zeit Gottes wort, dar-
an alles gelegen ist und umb welches willen tage,
stunde, ordnung, ceremonien fürgenomen und in-
gesetzet, gewaltig im schwang. So waren die chri-
sten auch aller dinge hitzig und lustig zu hören das
wort.
Aber nun ist keines weniger getrieben und geübt
worden in der kirchen, darzu an dises stat alles mit
unnutzen, vergeblichen ceremonien, gesengen, heu-
len, schreien, und plerren erfült. Und sind die armen
christen der nötigen, tröstlichen, hailsamen lere so
gar beraubet, ja auch so weit davon kommen, das ir
etliche und der nicht wenig gar nichts beten kön-
nen, auch nicht den glauben, zehen gebot sprechen
können. So gar ubel ists geraten, das man sich nur
allein der ceremonien angenomen hat.
Auf das man aber nun disem großen unrat, scha-
den und verderben der ganzen christlichen gemeine
in der zeit möge zuvorkommen5, sol man an stat der
vilen und vergeblichen, unchristlichen ceremonien,
die predige widerumb statlich anrichten und wis-
sen, ja auch festiglich glauben, das in der kirchen
oder versamlung der lieben christen kein besser, grö-
ßer und nötiger ordnung und ceremonien ist. Sum-
ma, das auch nichts ist, das die kirche bas schmuk-
ket und zieret denn die gute christliche predig. On
die predige, ermanung und tröstung sind die cere-
monien mit lesen und singen weniger denn nichts.
So haben die lieben aposteln ehe wöllen unterlassen
zu tisch dienen, denn die predige verseumen [Ap.-G.
6, 2]. Doher aller dinge wol zu glauben ist, wie So-
crates libro 9. (histo[riae] tripart[itae]6 cap. 38)
schreibt, das die aposteln mehr und auch fleißiger
richs des Großen, aus den griechischen Kirchen-
historikern der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts -
Sokrates in Konstantinopel, Sozomenos in Konstan-
tinopel und Theodoret, Bischof in Kleinasien - zu-
sammengestellte Kirchengeschichte, war eines der
hekanntesten khchengeschichtlichen Werke des Mit-
telalters (MSL 69. - CSEL 71). - Die gemeinte
Stelle lautet: Intentio ... fuit apostolorum non de
diebus sancire festivitatem, sed conversationem rec-
tam et Dei praedicare cuituram. (MSL69, 1154).

40 Sehling, Bd. XI. Franken

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