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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0714
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aber erbat sich Philipp in Wittenberg einen evangelischen Prediger. Als solcher kam - zuerst in Witten-
berg ordiniert - Johann Konrad Ulmer2 aus Schaffhausen am letzten Tag des Jahres in Lohr an. Am
6. Jan. 1544 hielt er dort die erste evangelische Predigt. Gegen sich katholisch haltende Geistliche scheint
Philipp, wenn er auch 1545 für Rieneck von dem dortigen Patron, von Thüngen, die Stellung eines
evangelischen Geistlichen verlangte3, keine Maßnahmen ergriffen zu haben. Nur bei Abgang eines sol-
chen ernannte er, wie auch in Rieneck 1551, einen evangelischen Geistlichen. So wurden durch ihn die
Pfarreien Bieber, Eschau, Frammersbach, Hofstetten (bei Lohr), Kleinheubach, Langenprozelten,
Lohr, Lohrhaupten (mit Kempfenbrunn), Partenstein, Rieneck und Wiesen evangelisch.
Über die Gottesdienstordnung, die in der Grafschaft verwendet wurde, ist nichts Genaues bekannt.
Ulmers Sohn entwirft zwar eine ausführliche Schilderung, beschränkt sich aber offensichtlich auf die
Predigttätigkeit4. Bei der von ihm erwähnten sonstigen konservativen Haltung seines Vaters darf an-
genommen werden, daß die Gottesdienste sonst weithin zum mindesten im brandenburg-nürnbergischen
Stil gehalten wurden. Das gilt um so mehr, als sich im Interim Rieneck gehorsam erweisen mußte - aber
vielleicht nur in der Form des brandenburgisch-nürnbergischen Auctuariums. Doch mag es damit wie
mit dem Umstand, daß der eigentliche Pfründeinhaber, Philipps Onkel Thomas, Domherr in Mainz,
Straßburg und Köln war, zusammenhängen, daß in Kleinheubach noch bis 1553 ein katholischer
Pfarrverweser tätig war5. Eine eigene Kirchenordnung wurde in der Grafschaft im Herbst 1552 ein-
geführt6 . Ein erhaltenes Bruchstück einer Kirchenordnung verweist auf das, ,,was bisher in brauch ...
gewesen“ und spricht von einer ,,bisher gehabten kirchenordnung“. Es ist leider nicht festzustellen, ob
uns eine vollständige Aufzeichnung vorliegt oder nur ein Bruchstück davon. Ebensowenig läßt sich der
Anlaß zu dieser Niederschrift vermuten. Die nächsten Verwandten dieser reichen liturgischen Form
waren in Schweinfurt8, Nürnberg9 und Hof10 in Übung.Vor allem aber erinnert sie an die Mecklen-
burger Kirchenordnung von 155211. Vielleicht also wurde diese 1552 in Mecklenburg im Juli12 einge-
führte Ordnung übernommen - wahrscheinlich aber nicht ganz in Gestalt des Buches, sondern nur als
Vorbild einer handschriftlichen Ordnung.
Eine Schule, wie sie die Vesperordnung von 1588 voraussetzt, wurde schon einige Jahre vor 1550
errichtet. Von einer Lateinschule - im Unterschied zu einer gesonderten deutschen Schule - wird man
aber besser nicht reden, wenn der Lehrer auch Theologe war.
1559 starb Graf Philipp kinderlos. Seine Erbschaft wurde verteilt. Die Zent Wildenstein (mit den
Pfarreien Eschau und Kleinheubach13) fiel an die mit dem Verstorbenen verschwägerten Grafen von
Erbach. Sie blieb damit evangelisch. Das Amt Schönrain (mit der Pfarrei Hofstetten [LK. Gemün-
den]) fiel an die Grafen Isenburg-Ronneburg. Diese starben 1601 aus; nun kam Schönrain an Würz-
burg. Es wurde sofort katholisiert14.

2 *1519 in Schaffhausen, 1544 Lohr Pfarrer, 1566 Schaffhausen Geistlicher, 1569 Antistes — + 1600 (l.u., Ulmer
J.K.,in; ADB 39, 209 f. - Lang Rob., J.K. Ulmer in: Festschrift der Stadt Schaffhausen ... 1901. Schaffhau-
sen 1901. 8-38 [Bild]. - Wipf Jak., Reformationsgeschichte der Stadt Schaffhausen. Zürich 1929. 348-363. —
Stähelin, J.K. Ulmer, in: RGG 5, 1345f.— Fuchs, Einführung; Wirken. — Schott, Heimatland 1949ff.; 1954
Nr. 12. - Die an Ulmer aus Lohr geschriebenen Briefe im Staatsarchiv Schaffhausen). 3 Plitt 146.
4 Siehe Nr. XI 12 5 Wagner Gottl., Die Ortsgeschichte von Kleinheubach. Kleinheubach 1933 48f.
6 Brück 368f.
7 Die gleichzeitige Datierung ist undeutlich. Wahrscheinlich ist 1588 zu lesen. Eine spätere Kanzleihand hat 1585
gelesen. — Siehe unsere Nr. XI 2! — Herrn Pfarrer Jos. Schott, der dieses Stück kurz vor Abschluß der Druck-
legung dieses Bandes entdeckte, danke ich herzlich für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
8 Vgl. oben Seite 631-639! 9 Vgl. oben S. 19. 50! 10 Vgl. oben S. 408-424!
11 Sehling 5, 197. 200.
12 Kawerau, Aurifaber Joh., in: RE 2, 289.
13 Kleinheubach kam 1721 an die Fürsten von Löwenstein-Wertheim. (Wagner [Anm. 5] 92ff.).
14 Kalender für katholische Christen 1902. Sulzbach 1901. 100ff. - Schott Alfons 5, S. 41.

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