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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0073
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Kirchenordnung von 1537

maß ungeverlich der sontägliche evangeli, weniger
oder mer, wie es je die materi an ir selb oder auch
der kirchen notdurft erheischet. Dann mit solicher
weis mag dem gemainen volk dester mer schrift be-
kannt und also auch zu lesen ainmuetige werden.
Das bringt dann gar gewaltige besserung; dann den
leuten die reden und hendel des Herren selb im her-
zen sind und in frischer betracht gehalten werden.
Und so die predigen vollendet, solle der prediger
aus der getanen predig die leut bede, des gesatzes -
zu erkanntnus und schrecken der sunden - und des
evangeli - zu versichern den glauben der verzeihung
der sunden und zu trost des gewissens -, mit kurze
erinnern, si darauf zu bekanntnus und bericht der
sunden vermanen und dieselbigen inen fursprechen
und darauf ain trost und absolucion furhalten, die er
aus dem vorerklertem evangeli ziehen.
Auf das solle das vokv zum gepet vermanet wer-
den fur alle stende und notdurft der kirchen und wer
fein, das, nachdem vom volk in der stille gepetet
were, der prediger das gebet in ain christenliche
summ und collect, die sich auf die getane predig
raimete, zusammenfaßte und also beschluße.
Demnach, als gesungen, solle das volk mit dem
segen hingelassen werden.
Dermaßen solte es gehalten werden auf die sonn-
täg, auf die kain abentmal auch kain tauf verhanden.
Wa aber kind zu taufen sind oder das hailig abent-
mal zu halten, da sölle die predig dester eer geendet
und das volk, weil es noch bei ainander der gnaden
des Herren, die er uns in den heiligen saeramenten
e So, aber vielleicht doch ein Versehen für ,,anmu-
tig“.
28 Dazu gehörte nach Forsters Bericht (Germann 62)
vor allem ein „hymnus, bei irem nachtmal in der
kirchen zu singen verordnet in dem ton Pangue lin-
gua“. Das war das Thomas Münzer zugeschriebene
Lied ,,Wir danksagen dir, Herr Gott der eeren, daß
du uns alle tust erneren“ (Wackernagel 3 Nr. 507).
Es entsprach nicht dem lutherischen Abendmahls-
verständnis.
29 Wie die Traditio symboli (Joh. Wilh. Friedr. Höf-
ling, Das Sakrament der Taufe. 1 [Erlangen 1859]
229) und die die Taufe vorbereitenden Scrutinien,
die geradezu in den Meßgottesdienst eingebaut wa-
ren (Höfling 305-316), war auch die Taufe selbst
als Akt der Aufnahme in die Gemeinde sinngemäß ein
öffentlicher Gottesdienst. Er fand ganz besonders im
Rahmen der nächtlichen Feiern (Vigilien, vgl. unten

anbeutet, erinnert werden. Und dann, so der predi-
ger die leut zu dem gepet vermanet, da einziehen das
gepet umb den waren glauben und rechtem brauch
des heiligen abentmals oder taufs, wa dise[r] hai-
lige[n] sacrament ains oder das ander oder sie bedef
auszutailen sein werden.
Und so vom volk gepetet ist, alsdann, so das hailig
abentmal zu halten sein wurd, solle der prediger,
weil das volk betet, sich von der canzel zum tisch
verfuegen, daselbst auf das gepet, vom volk in der
stille gesprochen, das Vaterunser laut fursprechen
darauf die wort des Herren vom hailigen abentmal
und dann die sacrament austailen, indem die kirch
die psalmen und gaistliche lieder singen28 solle. Und,
nachdem die austailung des heiligen sacraments ver-
richtet, soll die gemaine danksagung furgesprochen
und das volk also mit dem segen hingelassen werden.
Da aber der tauf auszutailen sein wurd, solle der
prediger, nachdem das volk in der stille gepetet, auf
der canzel das evangeli von kindlin, die der Herre
wolte, das mans im zubrechte, lesen, darauf der
ganzen kirchen und den gevatteren die kindlein be-
velhen. In dem solle der helfer an der taufstat sein
und die kindlin wie von der ganzen kirchen wegen
also auch vor der ganzen kirchen, wie bei den alten
der brauch der kirchen gewesen29, taufen, darauf
der prediger die danksagung tun und das volk mit
dem segen hinlassen solle. Und wie wol diser brauch
in etlichen pfarren, hisher nit gewesen von ungele-
genhait wegen der stett30, so soll er doch hinfuran
gehalten und die ort darzu verordnet werden.
f In der Vorlage ,,beder“.
Anm. 32!) an den Haupttaufzeiten zu Ostern und
Pfingsten statt. (Eine Erinnerung daran ist noch die
Tauf- bzw. Firmlingskerze [Höfling 544. — RE 19,
436]). — Die Taufe im Gemeindegottesdienst ent-
sprechend dem Beschluß des Memminger Tages von
1531 (Einführung S. 12!).
30 Trotz der später (S. 63) gebrachten Anordnung, in
allen Pfarrkirchen Taufsteine aufzustellen, wird hier
wohl nicht nur an das Fehlen eines Taufsteines, son-
dern an allgemeine Raumverhältnisse gedacht sein.
Unter den bis 1537 den Evangelischen überlassenen
Kirchen befand sich keine Pfarrkirche, also auch
keine Kirche mit Taufstein. Die Taufen waren bis
dahin gewöhnlich in den täglichen Morgengottes-
diensten gehalten worden (vgl. unten S. 74!).

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